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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt
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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Aussicht über den Fluss Uvac
Serbien für Anfänger

Serbien für Anfänger

21. Oktober 2019 Reinhard Junge Comments 4 comments
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Am Morgen nach der Posse an den Ticketschaltern stehen wir mit unserem Gepäck wieder in der Halle des Sofioter Hauptbahnhofs. Ein heller Neubau, für den ein schönes Gebäude im Jugendstil geopfert wurde.
Reinhard am Bahnhof SofiaAcht Gleise – aber ein Fahrplan wie in Altenhundem. Und alles geht gemütlich zu.
Fahrplan
Unser Zug besteht aus einer uralten kroatischen E-Lok und einem einzigen (!) D-Zug-Waggon 2. Klasse. Außer uns sind vielleicht noch 15 andere Passagiere an Bord. Wir können uns die Sitze aussuchen.
Im Zug
Es geht pünktlich los – und das ziemlich flott. Ich tippe auf 80-100 Kilometer, Chrissie als erfahrene Bikerin auf höchstens 60. Wie sollen wir sonst auf eine Fahrzeit von 2 Stunden kommen?
Zunächst gehts durch die Vororte von Sofia. Mischbebauung, viel Grün. Eine stillgelegte Fabrik, unmöglich zu sagen, was da mal produziert wurde. Etwas später drei moderne Werkshallen mit der Aufschrift „Gorenje“ – die Marke kenne ich, davon gibt es E-Herde und Waschmaschinen für Einbauküchen in einem großen Bochumer Möbelhaus.
Dann weite, dünn besiedelte Ebenen. Stoppelfelder, so riesig wie einst die kollektiven Äcker. Inzwischen befinden sich, wie mir vor drei Jahren ein Arzt in Warna erzählte, die meisten Felder unter der Fuchtel von großen Lebensmittelkonzernen.
Wir kommen ins Gebirge. Wunderschöne Wälder. Wieder fällt mir ein Karl-May-Titel ein: „In den Schluchten des Balkan.“
Landschaft - aus dem Zug fotografiert
Irgendwann bleibt der Zug stehen. Fünf Minuten, zehn. Die Türen sind weit geöffnet. Ein Blick hinaus zeigt: Lokführer und Begleitpersonal stehen auf einer stählernen Plattform, die sich wie ein Bahnsteig dem Verlauf der Gleise anschmiegt. Unter mir Dutzende Kippen. Na, dann!
Rauchen aus dem Zug
Ich stelle mich in die geöffnete Tür und gönne mir auch ein Zigarettchen. Mustere die Landschaft. Auf der Anhöhe ein hoher Gitterzaun, dahinter fahren LKWs mal in die eine, mal in die andere Richtung. Baustelle oder Grenzkontrolle? Chrissie fragen.
Wie immer landet die Fluppe nicht auf dem Boden, sondern in meinem privaten Aschenbecher, der zuletzt geleerten Packung. Seit Monaten muss ich notgedrungen mit Filter rauchen und diese scheiß Dinger enthalten unheimlich viele Kügelchen aus Plastik. Und der Tabak einer Kippe verseucht 40-60 Liter Wasser, wie ich gelernt habe. Ich möchte nicht, dass das eine oder das andere nach dem nächsten Regen in den Flüssen und im Meer landen …
Chrissie checkt ihre Navigation. „Das muss schon die Grenze sein.“
„Und was ist mit Dimitrovgrad?“
„Liegt schon in Serbien.“
Verwirrung. Eigentlich hätte ich eine Stadt dieses Namens in Bulgarien erwartet – unter Führung von Georgi Dimitroff wurde dort 1946 die Monarchie gestürzt. Aber nach 1990 hat man dort nicht nur Lenin vom Sockel geholt, sondern auch Dimitroffs Mausoleum geschleift. Weil er Kommunist war.

Zuviel Personenkult? Mag sein. Aber er war für viele Deutsche vor allem der Held des Reichstagsbrandprozesses von 1933. Da wollte der Nazi-Minister Hermann Göring beweisen, dass die Kommunisten den Reichstag angesteckt hätten – und die Verhandlung lief deshalb live im Radio. Aber der Emigrant Dimitroff trieb den Nazi mit seinen scharfen Fragen zu einem Wutausbruch und zur Flucht aus dem Gerichtssaal – die größte Propagandapleite der Nazis …

30 Minuten Wartezeit. Ich suche bei Wikipedia und das Rätsel löst sich: Ein Dimitrovgrad gibt es in beiden Ländern. Immer noch. Finde ich in Ordnung.
Dimitrovgrad
Ein freundlicher bulgarischer Polizist sammelt Personalausweise und Pässe ein. Nach zehn weiteren Minuten bringt der Schaffner die Dokumente zurück. Und wenige Kilometer später sind Polizisten aus Serbien am Drücker. Als sie mit den Dokumenten den Waggon verlassen, deute ich auf meine Uhr: „In zehn Minuten fährt unser Zug nach Pirot!“
Der Beamte grinst: „Keine Angst, stellen Sie einfach die Uhr eine Stunde zurück!“
Der Anschlusszug ist auch nur dünn besetzt. Er fährt über Niš bis Belgrad, bietet aber nur den Komfort einer deutschen S-Bahn. Doch bis Pirot geht es auch mal ohne Kaffeeservice. Was erwartet uns da? Fast nichts.
Bahnhof Pirot
Am Bahnhof selbst können wir unseren Kaffeedurst nicht löschen: kein Wartesaal, kein Kiosk. Von Bahnsteig vier aus muss man einfach die nächsten drei Gleise überqueren, um die Fahrdienstleiterin zu finden. Sie sitzt mit einem anderen Kollegen in einem kleinen Büro. In der Mitte steht wie ein Denkmal eine alte Schaltanlage für die Signale im Bahnhofsbereich – alles noch im Handbetrieb …
Alte Schaltanlage
Aber wir bekommen endlich klare Auskunft. Prboj ist von hier aus nicht direkt zu erreichen – wir müssen zuerst doch nach Niš. Fahrkarten? Gibt es im Zug. Der nächste fährt aber erst in drei Stunden …
Im Bahnhofsbüro
Kommunikation nur mit Übersetzungsapp‘

Also stellen wir unsere großen Rucksäcke im Büro der freundlichen Stationsvorsteherin ab und machen uns in der Mittagshitze auf den Weg ins Zentrum von Pirot. Eine niedliche, gemütliche Kleinstadt. Mit Markt, Busstation, Schnellrestaurants und Cafés. Viele Leute sehen uns verwundert an. Touristen sind hier so selten zu sehen wie die DFB-Meisterschale auf Schalke. Fast zwei Stunden Erholung bei Kaffee, Pizza und mit Wlan – eine eher lästige Wartezeit.
Nachmittags geht es weiter, aber oftmals quälend langsam. Die Diesellok ist alt, die Waggons sind in Russland hergestellt – aber daran liegt es nicht. Viele Holzschwellen sind der Länge nach geborsten, die Schrauben an den Gleisen haben sich gelockert oder fehlen ganz. Hitze im Sommer, Schnee im Winter – klar. Aber warum wechseln die Serben diese Schwellen nicht aus?

Pirot - alles wie in alten Zeiten
Schwefelsäuretransport per Bahn. Vertrauenserweckend sehen die Waggons nicht aus …

Weil kein Geld da ist. Serbien ist der große Verlierer der Aufteilung Jugoslawiens. Wer früher in diesem Land Urlaub machte, fuhr meist nicht ins Inland, sondern zum Baden an die Küste. Doch nun ist Serbien vom Meer abgeschnitten – und von den gewohnten Urlauberströmen profitieren vor allem Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina.
Die Bahnfahrten teurer machen? Keine Lösung. Verkehr wird in Serbien noch als soziale Aufgabe des Staates gesehen – wie bei uns vor der Privatisierung der DB. So hielt unser Zug nach Niś nicht nur an den Bahnhöfen, sondern auch an weitern Punkten in der Nähe einsamer Dörfer auf dem „platten Land“ – wenn an den Gleisen Leute standen, die mitfahren wollten, oder Passagiere aussteigen wollten. Guter Service – aber Zeit raubend.
Niš erreichen wir erst nach Einbruch der Dunkelheit. Der Bahnhof ist groß, dunkel und leer. Es gibt drei Ausgänge, aber keinen Hinweis darauf, vor welchem wir ein Taxi finden können. Jetzt noch mit allem Gepäck zu Fuß zum Hostel?

Eine Kioskverkäuferin zeigt uns die Stelle, wo ein einsames Taxi wartet. Ich bin gespannt, wo wir landen werden. Noch vermag ich Chrissies Begeisterung über Niš nicht zu teilen.

Das ändert sich nach fünf Minuten, als wir die Innenstadt erreichen. Helle, belebte Straßen, Kaufhäuser, Shops, Restaurants und Bars – und jede Menge Menschen unterwegs.
Niš InnenstadtUnser Hostel liegt mittendrin. Die Rucksäcke kommen in die Ecke, wir tauschen die Treckinglatschen gegen unsere leichten veganen Schühchen und ziehen los, um Hunger und Durst zu stillen.
Am nächsten Morgen großer Kriegsrat: Was stellen wir in einer Stadt an, die eigentlich gar nicht auf unserer Liste steht?
„Wandern!“, schlägt Chrissie vor. „Ich kenne einen schönen Weg in die Jelasnica-Schlucht. Da war ich letztes Jahr schon.“
Also nehmen wir ein Taxi bis zu einem Dorf weit vor der Stadt, ziehen los und ich fühle mich wieder in eine vergangene Zeit versetzt. Seht selbst!
Aussicht beim Wandern in der Jelasnica Schlucht
Selfmade Bridge
Reinhard erfreut sich an der Natur
Weggebrochene Straße
Aussicht beim Wandern in der Jelasnica Schlucht
Alter Traktor
Aussicht beim Wandern in der Jelasnica Schlucht
Hier schmeckt das Wasser besonders gut
Alter Mähdrescher
Am nächsten Tag geht es in jene Gebirgslandschaft, die wir von Anfang an in Serbien ansteuern wollten. Prboj gibt es tatsächlich, aber Chrissie findet über AirBnb ein paar Kilometer weiter eine bessere Unterkunft. So landen wir im Zentrum der Kleinstadt Nova Varos. Unser Appartement liegt nur 500 Meter vom Busbahnhof entfernt, aber es gibt ein doppeltes Problem: Wir haben als Adresse nur den Namen der Straße – und als Gastgeber den Vornamen Luka. Keine Hausnummer, kein Familienname. Wie weiter? In einer halben Stunde wird es hier dunkel sein!
Unsere Rettung ist die serbische Hilfsbereitschaft. Zunächst sprechen wir einen Mann meines Alters an, aber der muss auch fragen. Vor einem Einfamilienhaus steht Ein junger Vater, der den kleinen Sohn auf dem Arm trägt. Die Männer diskutieren über den Kartenausschnitt auf Chrissies Handy. Ein Frau, die gerade vom Einkaufen kommt, stellt ihre Taschen ab: „Kann ich helfen?“
Einen Luka kennt sie auch nicht. Aber vielleicht …
Sie zückt ihr Handy. Telefoniert. Mehrfach. Endlich findet sie einen Cousin des AirBnB-Anbieters Lika. Mittlerweile ist es stockdunkel, aber so langsam kommt die Sache in Fahrt. Am Ende schnappt die Frau ihre Einkaufstüten, führt uns zu dem richtigen Haus und drückt die richtige Klingel.
Wir schleppen unser Gepäck in den zweiten Stock und sorgen für Bestürzung. Luka ist zwar der Sohn der Hausherrin, betreut aber den AirBnB-Account von Belgrad aus und hat schlicht vergessen, seine Mutter über die Vermietung des Gästezimmers zu informieren …
Mutter Biba, eine alleinstehende, herzliche Mittfünfzigerin, fasst sich schnell und telefoniert ihre Tochter Maja herbei, die perfekt Englisch kann. In der Wartezeit zeigt Biba uns unser Zimmer: prima eingerichtet, das Bad vorzüglich, der Balkon raucherfreundlich.
Als Maja mit ihren beiden kleinen Töchtern auftaucht, können alle Missverständnisse aufgeklärt werden. Dann gibt es noch die üblichen Formalitäten zu regeln. Während wir die Meldeformulare ausfüllen, kommt das erste Fläschchen mit serbischem  Sliwovitz auf den Tisch.
Milans, ein Freund der Familie, hilft uns, ein paar Dörfer weiter einen wendigen Fiat 500 zu mieten – an Komfort und Leistung ist dieser Flitzer nicht zu vergleichen mit den gleichnamigen Sardinenbüchsen der 60er und 70er Jahre. Auf abenteuerlichen Wegen (und auf dem letzten Kilometer oft zu Fuß) erreichen wir einige Atem beraubende Ecken fast unberührter Natur.
Herbstlandschaft
See
Aussicht über den Fluss Uvac
Aussicht über den Fluss UvacAuch unterwegs erhalten wir zahlreiche Einblicke in das normale Leben von Serbien. Sinti und Roma leben auch hier abseits des Fortschritts. Obwohl es 100 Meter weiter einige befestigte Unterkünfte für sie gibt, entdecken wir auch hier eine Ansiedlung, für die der Name „Slum“ schon gestrunzt wäre.
Sinti und Roma Siedlung
Wenige Kilometer weiter bewirtschaftet der ehemalige Fernfahrer Zarko seinen kleinen Hof. Wir kommen auf einer Wanderung an dem Grundstück vorbei und fragen nach dem Weg. Englisch kann er nicht, mein Russisch passt nicht ganz zu seinem Serbisch – aber er zeigt  uns den richtigen Weg zu einem Stausee, an dem wir uns nur noch staunend ins Gras setzen können.
SeeAuf dem Rückweg kommen wir wieder vorbei. Zarko unterbricht seine Sägearbeiten, winkt uns heran und bewirtet uns mit selbst hergestellten Käse und schwarz gebranntem Apfelschnaps – in den Dörfern des Balkan ein weit verbreitetes Hobby.
Hündchen
Reinhard findet einen neuen Freund
Bauermhof
Prost mit Apfelschnaps
Freundlicher BauerAm dritten Tag werden wir mutig und fahren mit unserem Mietauto 200 km weiter nach Sarajewo.

Grenze nach Bosnien Herzegowina

Schöne Ausblicke von Unterwegs
Schöne Ausblicke von Unterwegs – manchmal sind Reinhards Rauchpausen doch zu was gut 😉
Schöne Ausblicke von Unterwegs
Schöne Ausblicke von Unterwegs

Die bosnische Hauptstadt war 1980 Schauplatz einer fantastischen Winterolympiade – und 1914, noch als Teil von Österreich-Ungarn, der Ort, der den europäischen Supermächten  den Vorwand für den Ersten Weltkrieg lieferte: Ein serbischer Unabhängigkeitskämpfer erschoss dort den österreichischen Thronfolger Prinz Ferdinand.

An dieser Brücke wurde Franz Ferdinand erschossen
An dieser Brücke wurde Franz Ferdinand erschossen
Von hier aus schoss der Attentäter
Von hier aus schoss der Attentäter

Am Schauplatz des Attentats stehen heute eine Gedenktafel und ein Exemplar des selben Fahrzeugtyps, in dem der Kolonialherr sein Leben aushauchte.

i

Sarajevo
In der Altstadt Sarajevos

Sarajevo

Sarajevo
Platz in der Altstadt
Soldatenfriedhof Sarajevo
Soldatenfriedhof – Gefallene des Jugoslawienkrieges
Cafes in Sarajevo
Überall hübsche Cafés
Kinderkriegsmuseum
Im Kinderkriegsmuseum

Die Rückfahrt nach Nova Varos wurde zum nächsten Abenteuer der unendlichen Fortsetzungsgeschichte von „Dick und Doof im Urlaub“.

Nur wenige Kilometer von Sarajevo entfernt landen wir auf einer Schotterstrecke.
Falscher Weg
Die Straße muss wohl erst noch gebaut werden
Ich: „Wir sind falsch!“
Chrisse: „Google sagt, wir sind richtig!“
Ich: „Auf dem Hinweg haben wir nicht eine einzige Schotterstrecke gesehen! Wir müssen falsch sein!“
„Vielleicht wird die Straße ja bald besser!“ Und Chrissie lenkt unseren kleinen 500er tapfer weiter durch Kies und Lehm. Bald wird auch ihr klar, dass wir in einer Baustelle stecken, die im Nichts endet.
“Du hast dich verfahren.“
„Nein, die Navi hat uns hierher geleitet.  Das ist doch nicht meine Schuld!“
„Und doch sind wir mal wieder am Arsch der Welt.“
Keine Antwort. Ich schlage vor, bis zu einer bestimmten Straßengabelung zurückzufahren. „Da haben wir bestimmt einen Wegweiser übersehen. Wir hätten …“
„Ich fahre doch nicht zurück bis Sarajevo! Weißt du, wie spät es ist?“
Weiß ich. Circa neun am Abend. „Sollen wir hier übernachten?“
Chrissie wendet. Drei Kilometer zurück fahren wir wieder auf Asphalt. Da taucht ein Wegweiser nach links auf: „Gorazde.“
Chrissie setzt den Blinker. „Was willst du da?“
„Hast du mal geguckt, wo die Weggabelung war? Ich fahre nicht zurück bis …“
„Und wohin führt dieser Weg?“
„In Richtung Serbien!“
Wir schauen auf die Navi. Vor uns liegen mindestens 10 Kilometer Serpentinen. Chrissie  startet. Bergauf, bergab. Hin und wieder ein Häuschen am Weg – meist unbeleuchtet. Die Leute gehen hier mit den Hühnern zu Bett. Und dann wieder dunkle Abgründe, keinen Meter von der Beifahrertür entfernt …
Ich habe jede Orientierung verloren. Chrissie kämpft sich tapfer weiter durch die Kurven. Nach mehr als 90 Minuten leuchten tief unter uns viele Lichter auf. 20 Minuten vergehen, bis wir unten sind und einen Wegweiser Richtung Serbien finden. Und zehn Minuten später donnern wir über eine Holzbrücke, die wir schon auf dem Weg nach Sarajewo passiert haben – jetzt in der Gegenrichtung. Das Brückchen liegt nur knapp hinter der Weggabelung, zu der ich hatte zurückfahren wollen.
Irrfahrt
Hier die Wahrheit. Ich mache Reinhard keinen Vorwurf bezüglich seiner unwahren Behauptung. Er hat die ganze Fahrt über den Blick auf die Karte verweigert. So schafft man alternative Wahrheiten 😉
Das Triumphgeheul spare ich mir. Wir haben mehr als zwei Stunden verloren. (Chrissie: hüstel) Die gute Stimmung aus Sarajevo sowieso. Und vor uns liegen noch etliche Kilometer …
Zwei Tage später naht der Abschied. Biba war eine tolle Wirtin, Milan hat uns viele Tipps gegeben – wir besorgen für den letzten Abend ein Fläschchen Wein. Doch damit ist es nicht getan. Milan bringt als Geschenk einen Beutel „echten“ Knoblauch mit. „Wenn ihr das Zeug esst und anderen ins Gesicht atmet, fallen die tot um“, lacht er.
In der anderen Hand trägt er eine Tüte mit Bier und etlichen Snacks.
Als Biba dann noch eine Flasche aus der Ecke holt, gerät der Abend etwas aus den Funken – so sehr, dass wie am nächsten Morgen fast den Bus nach Belgrad verpasst hätten …
Vorher
Vorher: Biba nüchtern und etwas förmlich
Nachher
Nach einigen Stunden sind wir alle kaum wiederzukennen
In Belgrad finden wir ein schönes Hostel im Zentrum einer Stadt, die im Lauf der Geschichte mehrfach den Besitzer wechselte. Gleich nebenan, auf dem Platz der Republik, finden wir eine Gratisführung durch die Stadt – man zahlt nicht vorher einen festen Betrag, sondern entlohnt die Guides danach mit einem Trinkgeld.
Platz der RepublikDie junge Frau führt uns mehr als zwei Stunden durch die Altstadt und zum Schluss zu einer alten Festung hoch über dem Ufer der Donau.
Gratis Führung
Gratis Führung – hier in großer Gruppe
Belgrad Festung Ausblick von der Festung Ausblick von der Festung
Wir verabschieden uns dort und genießen bei Kaffee und Kuchen die herrliche Aussicht auf einen der europäischen Schicksalsströme.
Der wohl bekannteste „Sohn“ der Stadt ist der geniale Ingenieur und Erfinder Tesla. Sein Wohnhaus ist heute ein viel besuchtes Museum – offenbar auch ein Pflichtprogramm für Schulklassen. Chrissie schafft es erst im zweiten Anlauf, das Haus besuchen zu können – während ich mal wieder tippen darf.
Belgrad war von Anfang an für uns nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Hause. Der Kauf eines Zugtickets gerät auch hier zu einem skurrilen Erlebnis.
Nach Auskunft unserer Vermieterin müssen wir die Fahrkarten am Hauptbahnhof erstehen. Okay, den kennen wir, er liegt nur einen kurzen Fußweg entfernt. Genau dort hat uns der Bus aus Nova Varos abgesetzt. Verdächtig war mir schon bei der Ankunft die Tatsache, dass es in diesem alten, schönen Kopfbahnhof keine Bahnsteige und Schienen gab – aber immer noch eine Menge an besetzten Fahrkartenschaltern.
Erste Pleite: Dort werden nur Bustickets verkauft.
Bahnhof
Hier fahren nur noch Busse
Zweite Pleite: Erst der dritte oder vierte Mensch, den wir befragen, weiß, dass es einen neuen Hauptbahnhof gibt. Aber wo der genau liegt …
Schließlich erwischen wir einen Bus, der dorthin fährt. Ein ganzes Stück nördlich der Innenstadt werden wir abgesetzt. An einer Haltestelle, die „Railway Station“ heißt. Okay, da unten im Tal liegen ein paar Gleise. Aber wo ist der Bahnhof?
Direkt vor uns sehen wir eine große Fläche aus Beton. Leer.
„Sieht aus, als wollten die hier ein Parkhaus bauen“, vermute ich. Und liege falsch. Vor einem unscheinbaren Treppchen in die Tiefe befindet sich ein noch weniger auffälliges Schild mit der Aufschrift „Eingang“.
Wir landen in einer riesigen Halle vor einem Eisenbahngleis – und entdecken, dass weit jenseits einer Abtrennwand sogar ein Zug steht. Aber wo gibt es Tickets?
Zug
Hier fährt nix – Großbaustelle
Endlich entdecken wir einen Securitymann, der uns mit einer unbestimmten Geste zum Ende des Bahnsteigs verweist. Fast 100 Meter weit nichts außer dem leeren Gleis auf der einen und einer Betonwand auf der anderen Seite. Wir sind schon bereit aufzugeben, da endet der Beton und wir entdecken mehrere große, verglaste Büros und eine Anzeigetafel mit Abfahrtszeiten – für die nächsten Stunden sind da drei oder vier Züge angezeigt, aber keiner nach Budapest. So betreten wir den Glaskasten, über dessen Tür „Tickets“ steht.
Die drei oder vier Eisenbahner/innen schauen uns überrascht an. Sie trinken gerade Tee oder Kaffee – Pause? Von was? So steuern wir auf die einzige Kollegin zu, die hinter einem Schreibtisch sitzt. „We need two tickets …“
Sie versteht nichts und ruft eine Kollegin herbei. Und die macht uns deutlich, dass hier kein Zug nach Budapest fährt. Wir müssen mit dem Bus nach Novi Sad – weil die Eisenbahnstrecke dorthin gerade neu gebaut wird. In etwa zwei Jahren.
Novi Sad – habe ich schon mal gehört. Die haben da einen ganz guten Fußball- oder Handballverein. Mit scharfem „s“ ausgesprochen, heißt das auf Russisch „Neuer Garten. Hört sich gut an.
Novi Sad
Einen Tag sind wir mit dem Bus unterwegs. Eine Stunde lang über gerade, gute Straßen über weite Ebenen mit Abgeernteten Feldern und Weinplantagen. Die ungarische Puszta kündigt sich an. Und schön, dass die Fernbusse dort direkt vor dem neuen, hellen Bahnhof halten. Keine lange Schlepperei bis zu einer Bank in der Sonne. Ich passe auf das Gepäck auf, meine Finanzministerin eilt durch die mäßig besuchte Halle zum Fahrkartenschalter. Kommt mit den Karten zurück, ist aber trotzdem frustriert.
„Was?“, frage ich. „Keine Tickets?“
„Doch. Aber kein ungarisches Geld.“
„Wieso?“
„Der Typ im Wechselbüro. Spielt auf seinem Handy. Und als ich nach Forint frage, schreit er nur: No Englisch.“
Bahnhof
Der freundliche Exchange Schalter ist hier zu sehen
Okay, immerhin bleiben uns genug Dinar, um mich für die nächsten Tage mit Zigaretten einzudecken. Aber in Ungarn können wir uns vorerst nicht mal eine Paprikaschote kaufen.
Also ziehe ich los und gehe noch mal zum Wechselschalter. Ein junger Bursche mit Baseballkappe. Spielt noch immer auf dem Handy. Ich spreche ihn auf Russisch an. Tatsächlich: Einen Schein wechselt er in Forint. Als ich ihm die anderen Scheine zurückgebe, schreit er: „Mehr Forint habe ich nicht!“ Und schließt die Klappe.
Schade, Serbien hat so toll begonnen. Aber diese faule Socke sorgt für einen hässlichen Schlusspunkt. Vielleicht sollte man „Novi Sad“ doch mit einem weichen „S“ am Anfang aussprechen. Dann heißt es auf Russisch „Neuer Arsch“ …

Allgemein, Freundschaften, Geld, Serbien
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4 thoughts on “Serbien für Anfänger”

  1. Annemarie Otter sagt:
    23. Oktober 2019 um 21:24 Uhr

    Lieber Reinhard,
    Da haben wir doch verpasst, dir pünktlich zu deinem Geburtstag zu gratulieren!!!! Herzlichen Glückwunsch nachträglich und DANKE für all eure Berichte, auf die wir in den letzten Wochen schon immer gewartet haben!! Wir gehen davon aus, dass ihr wieder zu Hause seid und dass es euch noch schwerfällt nach all den Erlebnissen der letzten Monate wieder in den Ruhrgebietsalltag einzutauchen. Wir wünschen dabei viel Erfolg, viele schöne Erinnerungen und dir persönlich ein tolles neues Lebensjahr! Peter u. Annemarie

    Antworten
  2. Heidi und Bodo sagt:
    23. Oktober 2019 um 11:37 Uhr

    Tolle Erlebnisse, wunderbare Landschaft in Serbien!
    Und wieder sind nach anfänglicher Aufregung die herzliche Aufnahme und ein schönes Zimmer gesichert!
    Wir sind begeistert von diesen einzigartigen Naturmotiven, dort würden wir jetzt am liebsten mit Euch zusammen die Ausblicke genießen!
    Was Ihr so alles mit einem kleinen Fiat 500 und natürlich zu Fuß schafft, Respekt!
    Eine bunte Mischung aus neuen Eindrücken in der Natur, Gastfreundschaft, Kultur und Geschichte, kleine Probleme mit der Navigation, etwas Verwirrung auf der Schotterstrecke – Langeweile ist ein Fremdwort!
    Die Fotos mit Euren Gastgebern „vorher“ und „nachher“ sagen alles!
    Eure Reise ist und bleibt spannend!
    Ach, es ist so schön, fast live dabei zu sein! Aber schon ganz bald gibt’s ein Wiedersehen mit Euch, darauf freuen wir uns.
    Ein sonnig goldener Herbst in der Heimat erwartet Euch!

    Antworten
  3. Bina sagt:
    23. Oktober 2019 um 0:48 Uhr

    Happy Birthday 🥳🌻💥☄️🌈🍾🥂🎂
    Und alles Liebe!!!

    Antworten
  4. Bina sagt:
    22. Oktober 2019 um 13:09 Uhr

    😂 Reinhard, kommt doch richtig was rum, wenn du zu Hause bleiben musst um eure LeserInnen zu unterhalten.
    Merci !
    🏝🌋 Liebste Grüße, Bina

    Antworten

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