Jammern in Amman
Und nein, wir fordern auch das Schicksal nicht heraus. Die Dinge passieren einfach. Vor allem dann, wenn man sie am wenigsten braucht. So auch am Sonntag. Morgens ist auch Reinhard wieder tatendurstig. El Hakim, das Medikamentenarsenal und nicht zuletzt die Beduinenkohle haben ihn wieder auf die Beine gestellt und das Triefauge normalisiert. Der am Vortag ausgetüftelte Plan wartete nur darauf, in Angriff genommen zu werden:
- Früh aufstehen und auschecken
- die nur 46 km entfernte gelegene Römerstadt Jerash besuchen
- 14 km weiter unser Hotel in Aljoun aufsuchen
- die dortige Mittelalter Burg Adschlun (Aljun) erkunden
- lecker essen gehen
- Im Hotel bei heißen Tee gemütlich schreiben. Hört sich gut an, oder?
Die Realität: Wir ignorieren beide die ersten Weckrufe des Handys und stehen später auf als geplant. Es regnet in Strömen. Beim Frühstück auf der 6. Etage des Hotels tropft es stetig auf die Tische. Auf dem Boden bilden sich Pfützen und Rinnsale. Um 09:00 Uhr hocken wir noch immer in der Lobby und schauen skeptisch nach draußen. Wenn wir jetzt losziehen, wachsen uns Schwimmhäute.
Drei Kaffee / Tee später verwandeln sich die Bindfäden in Tropfen. Mut zur Lücke. Aber verflucht, wo ist dieser verdammte Hinterhof, auf dem unser Auto steht? Ich habe diese Orientierungsschwäche ja schon seit ewig. Gebt mir zwei Wegoptionen und ich wähle die falsche. Ohne Navigationssoftware lande ich in Oberbayern statt in Oberhausen. Da wäre Schenkelklopfen in jedem Fall angesagt.
Aber diesmal hat auch Reinhards innerer Kompass eine Störung. Er zieht ohne Widerspruch mit mir in die falsche Richtung. Wohl doch noch nicht gesund. So brauchen wir statt drei Minuten gleich zehn – in monsunartig angeschwollenem Regen. Macht nichts. Dann sind wir heute halt Spongebob und Patrick. Und wie Patrick Star gucken wir wohl beide, als wir unseren Mietwagen entdecken.
Was …? Welches Pantoffeltierchen hat seinen Wagen so vor unseren Chevi geparkt? Das Avis-Fahrzeug steht noch immer akkurat und platzsparend in seiner Ecke: Zwei Handbreiten Platz am Heck, wie es sein soll. Und vorne – steht ein schwarzer Mazda. Quer. Abstand gerade mal so viel, dass die Schnauze unseres Chevi am hinteren Kotflügel des Mazdas schnüffeln kann. So nah, dass gerade 3-4 zusammengefaltete Ausgaben der Zeit dazwischen passen würde.
„Ach, du Scheiße!“, flüstert Reinhard. Und ich denke: Wie in Allahs Namen sollen wir da rauskommen, ohne dem ohnehin schon geschundenen Mietwagen eine weitere Delle zu verpassen?
Reinhard schaut mich mit seinen Beduinenaugen an. „Geh du!“, lese ich darin. Mist! Er hat noch den Krankheitsbonus. Ich seufze und lade unser Gepäck in den Kofferraum. Immerhin hat der Regen etwas nachgelassen. Gerade will ich mich auf den Weg zurück zum Hotel machen, als mir ein Mittfünfziger mit Schnurrbart und Lederjacke entgegeneilt. Er erfasst die Situation in Sekunden und zückt sein Handy. „Wait“, sagt er.
Nachdem das Telefonat beendet ist, grinst er entschuldigend. „Sorry, 5 minutes …“ Ich nutze die Wartezeit für ein paar Fotos. Tatsächlich. Einige Minuten später eilt ein bebrillter junger Mann mit Vollbart und Schirmmütze herbei. Er diskutiert mit Lederjacke und spätestens, als Schirmmütze mit den Schultern zuckt, wissen auch wir: Nicht sein Auto.
Es wird lustig. Schnurrbart-Lederjacke telefoniert immer wieder und immer mehr Männer finden sich auf dem Miniparkplatz ein und beraten fachmännisch, was zu tun ist. Nur: Der Besitzer des Mazda sitzt immer noch in irgendeinem Büro. Und davon gibt es im Umkreis von 50 Metern mindestens 50 …
Ich schlage vor, den Mazda wegzutragen und ernte Gelächter. Hey, das war gar kein Scherz! Die Beratungen der Männer ziehen sich. Endlich taucht eine kleine graue Gestalt auf. Ich muss an Meister Yoda denken. Nein, ihm gehört das Fahrzeug auch nicht. Aber er ist der Master of Hotelparkplatz und wenn er so gut ausparken kann, wie Yoda mit dem Laserschwert ficht, dann soll er es versuchen. Bitte sehr. Möge die Macht mit dir sein! Ich händige ihm wortlos den Schlüssel aus.
Dann passiert das Unglaubliche. Präzisionsarbeit, weil die umstehenden Männer dirigieren, unser Wagen bewegt sich wie programmiert – nach nur vier Zügen ist er frei!
Allgemeine Begeisterung. Aber dann richtet sich mein Auge zufällig auf den rechten Vorderreifen. Dem ist eine Menge Luft ausgegangen. Nicht schon wieder! Diese olle Karre!
Seit der Übernahme in Aqaba bestimmt das Thema die Reise.
Die elektronische Luftdruckanzeige meldet spätestens nach 30 km Defizite. Mal hinten links, mal hinten rechts. Aber es war immer der rechte Vorderreifen, der etwas platter ausgesehen hat. Dazu muss man sagen, dass es bei weitem nicht selbstverständlich ist, dass eine große, modern aussehende Tankstelle die nötige Gerätschaft besitzt, um einem Reifen etwas Luft zu gönnen. Wir hatten damit bereit fünf mal in knapp zwei Wochen das Vergnügen. Aber so platt war der Reifen noch nie.
Was also tun? In Amman Downtown herrscht der übliche chaotische Verkehr. Bei der Ankunft im Hotel vor drei Tagen war ich fix und alle. Jeder Fahrspurwechsel erhöhte meinen Puls inkrementell um 10%. Zudem kam es mir vor, als hätte ich den letzten Level bei „Don‘t kill the pedestrian“ erreicht. Denn noch mehr Gottesvertrauen als die Autofahrer haben hier die Fußgänger, die sich aus allen Richtungen vor die Autos schieben. Einmal haben wir sogar einen Jordanier gesehen, der eine Autobahn querte. Er schaute nicht mal von seinem Handy auf, als wir ihm auswichen.
Der Regen verstärkt sich wieder. Eins ist klar – Ich will erstmal raus aus dem Wahnsinn und wir folgen unserer Navi.
Zwei Kilometer weiter entdecken wir auf einer Ausfallstraße eine winzige Reifenwerkstatt. Nicht, dass wir die Reklame lesen können. Aber da wird gerade die rechte Spur von zwei Autos blockiert, beide mit einem Wagenheber hochgepumpt, und drei oder vier junge Kerle wieseln um die Kundenfahrzeuge herum – während der gesamte Verkehr sich dem Schicksal beugt und sich nun auf zwei Spuren vorwärts schiebt. Welcome to Jordan!
Kaum stoppe ich vor dem Laden, rast ein Jüngelchen von zwölf oder dreizehn Jahren heran, schiebt auch uns einen Wagenheber unter die Karre und pumpt uns vorne hoch – bevor ich auch nur einen Satz mit den Monteuren reden kann. Tempo ist alles – wollen sie uns abziehen?
Mitnichten. Während der Chefmonteur und ich abwechselnd mit der Ausleihfiliale in Aqaba telefonieren, untersuchen zwei Jungs fachmännisch den rechten Reifen. Und werden fündig: eine dünner Metallstift hat sich in den Reifen gebohrt – die Ursache allen Übels.
Können wir einen neuen Reifen aufziehen lassen? Die Avis- Leute in Aqaba zieren sich. Wir sollen mit dem angeblich kaputten Reifen zu der Avis-Werkstatt am 7th Circle fahren. Nein, danke! Wir haben den ersten und zweiten Circle auf einer Stadtrundfahrt am Freitag gesehen. Drei- bis vierspurig, keine Parkmöglichkeit – und wieviel Runden wir da drehen müssen, bevor wir die Avis-Leute entdecken? Und, ganz nebenbei: Der 7th Circle liegt am anderen Ende der Stadt. Und Amman ist, gefühlt, so groß wie das Ruhrgebiet.
Also greifen die Jungs zu einer Ersatzlösung: Sie verzichten auf das Notrad, das unter dem Kofferraum liegt und treiben einen Stift aus Hartgummi in das kleine Loch, schneiden das herausragende Stück einfach ab – und fertig ist die Operation. Gesamtpreis: 1 Dinar. Andernorts zahlen wir das für einen Kaffee.
Mit vier prallen Reifen erreichen wir eine gute Stunde später Jerash, die ehemalige Römerstadt. Der Himmel ist hier blau und wir sehen schon von Weitem eine Kette hoher Säulen, die sich über einen langen Hügel zieht. Auf dem weitläufigen Besucherparkplatz drängen sich zahlreiche Reisebusse und PKWs, aber ein gerade losdüsender Pickup hinterlässt uns eine passende Lücke. Wir steigen aus und prüfen als erstes den rechten Vorderreifen. Er ist dicht.
Bevor wir das archäologische Freiluftgelände betreten, werden wir durch einen verzweigte Kaufhalle geleitet. Alle zwei Meter spricht uns ein anderer Händler an, um uns Kitsch oder Kleidung zu verkaufen. Auch wenn ein paar schöne Stücke dabei sind, müssen wir die Händler schon aus einem praktischen Grund enttäuschen: Wenn wir überall nur eine einzelne Kleinigkeit erstehen, kommen wir Ende des Jahres statt mit zwei Rucksäcken mit einem Vierzigtonner nach Hause. Bisweilen tut es uns leid, die Händler abwimmeln zu müssen? Der Tourismus ist für viele Jordanier die einzige Chance, etwas Geld zu verdienen …
Was wir dann sehen, raubt uns wirklich den Atem. Ein riesiger Triumphbogen, dahinter eine mehr als 200 Meter lange Bahn für Pferde- oder Wagenrennen, ein römisches Theater, Tempel, von Säulen gesäumte Straßen mit 2000 Jahre altem Steinpflaster, in dem man noch die Spuren der Pferdekarren sehen kann. Alexander der Große war hier, die Römer, die Byzantiner, die Kreuzritter … Jeder Schritt ein Stück Geschichte.
Wir schwätzen hier nicht weiter, sondern lassen lieber ein paar Bilder sprechen. Dann wisst ihr, warum wir mal wieder voll begeistert waren. Aber eins war nicht begeisternd: Als wir nach über zwei Stunden zum Parkplatz zurückkehrten, was mussten wir da wohl sehen? Genau! Beim rechten Vorderreifen setzte schon wieder die Atemschwäche ein.
Tja, Leute, eigentlich käme jetzt noch der krönende Abschluss.
Das „Schimmelhotel“ in Aljoun, in dem wir übernachten mussten und in dem wir ein paar unangenehme Dinge im Bett fanden. Aber das sparen wir uns dann wohl auch für die Zeit nach unserer Rückkehr auf, denn es ist schon verdammt spät. Morgen müssen wir wieder früh raus. Für uns wird es der persönliche Höhepunkt der Jordanien-Tour: Eine zweitägige private Tour mit Guide zu Fuß und mit dem Jeep durch Wadi Rum. Morgen Nacht schlafen wir fern aller Camps und Zeltlager unter den Sternen. Kein Internet, kaum Licht. Stattdessen die Stille der Wüste, ein Essen am Lagerfeuer und die Milchstraße über uns.
10 thoughts on “Jammern in Amman”
Wir können echt mit euch fühlen. Ihr hattet ja noch Glück:
In der Etosha-Pfanne in Namibia musste Peter unseren platten Reifen selber wechseln, meine Aufgabe bestand darin, nach Löwen Ausschau zu halten. Ich mehr fast vor Schuss in die Hose gemacht. Aber jetzt kann ja nicht mehr viel schiefgehen und eure Bilder sehen traumhaft aus.
Wir begleiten euch mental und schicken viele Grüße
Gitte und Peter
Peter ist eben ein Ass! Und was die Löwen angeht: Einen Marathon gegen euch hält er nicht durch!😉
Gute Besserung und weiter viel Glück.
P.M.G.
Sicherlich eine der großartigsten Landschaften der Erde!
Wadi Rum – Ihr mittendrin und wir „live“ dabei durch Eure spannenden Berichte!
Das wird ein ganz besonderes Highlight Eurer Reise!
Viel Spaß, hoffentlich wenig Aufregung, dafür unvergessliche Erlebnisse, einen wunderschönen Sonnenuntergang mit Lagerfeuer und allem, was noch so dazugehört, z. B. der Sternenhimmel!
Viele Grüße nach Jordanien!
Wadi Rum war wirklich ein Highlight. Das Schlafen unterm Sternenhimmel, das Lagerfeuerfeeling, die Fahrten auf dem Heck des Jeeps, die irren Felsformationen … das werden wir nie vergessen.
Pannen, Pech und weder Pleite noch Schwefel können euch aufhalten!
Ihr Tapferen, für den nächsten Trip ein herzhaftes „Daumendrück“ aus dem nassen kalten schwattgelben Ruhrgebiet. Holt euch die Sterne!
Nina, die Sterne passten leider nicht mehr in die Tagesrucksäcke. Aber manches muss man einfach zurücklassen und von den Erinnerungen zehren. Hach, schön war es! ⭐️🤩
Hallo Ihr zwei Abenteurer,
ich hätte gerne die genaue Adresse von dem Reifenfachhandel in Aqaba. Ich bin ein großer Freund von qualifizierter Handwerkskunst. Reparieren statt ersetzen, das schätze ich im Sinne der Nachhaltigkeit. Aber bei den sich drehenden Teilen (nein, nicht das Lenkrad) sollte schon der Meister und nicht der Stift Hand anlegen. Laut §36 Richtlinie 6 StVZO, sind Instandsetzungen von Luftreifen bei einer Schadensausdehnung von max. 6mm möglich. Allerdings sollte nach Demontage der Felge die beschädigte Stelle durch Aufbohren gereinigt -und mit einem Rohgummi vulkanisiert werden.
Danach sollte von innen ein Reparaturpflaster aufgeklebt werden. In jedem Fall ist das Ventil zu wechseln. Felge aufziehen,fertig. Danach herrscht ein Tempolimit von 130 Km/h (empfohlen by Manfred).
Wenn die Jungs in Aqaba alles so gemacht haben, dann „alle Achtung“. In dem Zusammenhang fällt mir ein, ich muss noch meine Winterreifen wechseln.
Vielleicht sieht man sich ……………….
Liebe Grüße MeMa
Schade, Manfred, vermutlich haben die Jungs doch einen Punkt vergessen. Beim nächsten Mal passen wir besser auf und lesen den Monteuren deine Anleitung per Übersetzungsapp vor.
Hehe, zumindest das Tempolimit haben wir eingehakten 😅