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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt
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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Nepp und Schlepp
Traue niemals einem aus Marvdasht

Traue niemals einem aus Marvdasht

30. April 2019 Christiane Bogenstahl Comments 8 comments
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Reinhard
Die Einladung klang zu gut, um wahr zu sein. Zwei Übernachtungen in einer Kleinstadt nahe der bekanntesten alten Stätten des Irans. Persepolis, Pasargadae und Naqshe Rostam, das man hier auch Nekropolis nennt. Keine Notwendigkeit, eine teure Tour von Shiraz aus zu buchen. Wir wollen relaxt etappenweise reisen und eine neue nette Familie kennenlernen. Unser Gastgeber stellte sich so vor:

„Hi :), At first thanks for choosing my country for your trip. I’m Ali Pascha (Name geändert)  and I am 26 years old. I live with my wife and my parents in Fars province, Marvdasht city (40 km far away from Shiraz). (…) My family and I are so hospitable. Md. It would be our pleasure to host you. Hope to see you very soon :). Greetings Ali Pascha“

Perfekt, dachten wir. Dass wir keine 24 Stunden nach unserer Ankunft bei Ali in Marvdasht nicht nur flucht- sondern auch rausschmissartig das Haus verlassen mussten, konnten wir nicht ahnen.
Aber der Reihe nach.
Isfahan liegt bereits hinter uns. Eine Kultur- und Touristenhochburg mit einem Überangebot an Sehenswürdigkeiten, von denen wir die wichtigsten abklapperten. Aber irgendwann waren wir zu müde, um die Schönheit der Moscheen, Plätze, Tempel, Ruinen, Gärten und Denkmäler noch würdigen zu können.

Naqsh-e-Jahan Platz
Naqsh-e-Jahan Platz
Jame Moschee
Jame Moschee
Imam Moschee
Imam Moschee
Es waren viele, und wir ersparen uns die Aufzählung der einzelnen Top Spots, die man sicher in jedem Reiseführer besser nachlesen kann als bei uns.  Dafür ein paar Impressionen aus Yazd – und die nächsten Pannen. Lotta Nymann aus Astrid Lindgrens „Die Kinder aus der Krachmacherstraße“ würde zum letzten Donnerstag sagen: „Ein Unixtag.“

Yazd ist mit 5000 Jahren eine der ältesten Siedlungen der Welt. Bis heute hängen in dieser Wüstenstadt viele Menschen einer uralten Religion an, die sich Zoroastrismus nennt. Marco Polo bewunderte diese Stadt und Dschingis Khan schaffte es nicht, sie zu zerstören.

Drei Nächte verbringen wir in der historischen Altstadt. Enge Gassen, ein Albtraum für Taxifahrer und eine Herausforderung für Besucher, sich in den labyrinthartigen Windungen nicht zu verlaufen. Hinter den zwei bis drei Meter hohen Mauern lagen schon vor Jahrtausenden die Wohnungen der Reichen, heute finden sich hier außerdem Hostels, Restaurants, Cafés, Galerien und Shops.

Yazd Gasse
Yazd Gasse
Windtürme ragen in den Himmel und sorgen auch im Sommer für verträgliches Klima in den Innenhöfen: Jeder Turm gleicht einem Kamin mit zwei Schächten. Der eine saugt Kaltluft ins Gebäude, sein Zwillingsbruder stößt die verbrauchte warme Luft in den Himmel. Angewandte Physik aus der Antike. Die alten Architekten hatten schon eine Menge „auf dem Kasten“.

Yazd Windtürme
Das Graubraun der Gassen wird vor allem durch die vielen Touries bunter. Viel mehr Frauen als im Norden tragen in Yazd das traditionelle Schwarz und die sonst so freundlichen Iraner sind hier ein ganzes Stück reservierter als im Norden. Einen besonderen Kontrast zu den tristen Farben setzt der etwa 12-jährige Massoud, der vor einer Moschee auf seine Oma wartet: Er trägt ein gelbes BVB-Trikot. (Wie ich mittlerweile weiß, hat die Großmutter es entweder versäumt, die Borussen in ihre Gebete einzuschließen, oder aber sie hat zum falschen Gott gebetet ;-))

Aber nur der BVB
Aber nur der BVB!                                                                                                                                   Einen ganzen Tag streunen wir mit zwei lustigen Leipzigern durch Yazd: zu den Türmen des Schweigens, dem zoroastrische Feuertempel, dessen Flamme angeblich seit seiner Fertigstellung bis heute ununterbrochen flackert, und zum Schluss zu einem beliebten Dachrestaurant in der Altstadt mit traumhaftem Sonnenuntergang.

Stefan und Katja aus Leipzig

Türme des Schweigens
Türme des Schweigens
Den größten Lacher gibt es, als Stefan beschreibt, wie der Geldtausch in Teheran für ihn ablief. Noch bevor irgendeine Wechselstube in Sicht war, umschwärmten ihn mehrere Männer mit Plastiktüten. „Exchange?“
Ach, wie bequem, mussten die beiden gedacht haben, und nahmen die Gelegenheit wahr. Die Sachsen gaben 400 Euro aus und erhielten dafür dicke Bündel iranischer Rial, die aus den Tüten gezogen wurden wie Werbeflyer, die verteilt werden sollten.
„Cool“, sagt Chrissie.  „Zu welchem Kurs habt ihr denn getauscht?“
Stefan schaut sie an, als sitze er bei Günter Jauch auf dem Stuhl, kurz davor, bei der 100 Euro Frage zu scheitern. Dann fängt er an zu lachen. „Keine Ahnung.  Aber es waren so viele Scheine, dass ich dachte, dass das schon so stimmen muss.“
Wir prusten los. „Habt ihr denn nicht mal gezählt?“
Bei Stefan laufen derweil die Lachtränen. „Nein. Sowas Beklopptes. Ich hab da bis gerade gar nicht drüber nachgedacht. Ist mir ja noch nie passiert. Echt jetzt, ich bin schon in Dutzenden Ländern gewesen, aber so was …“ Er kriegt sich kaum noch ein. „Aus ner Plastiktüte. So was Blödes.“
Nachdem wir den Restbestand an Geld prüfen, den  die beiden noch bei sich tragen, stellen wir fest: Wenn sie beschissen wurden, dann nur sehr unauffällig. Mit 400 Euro ist man im Iran reich.
Ausgaben
Ein Euro entspricht dank Trumps Sanktionen zurzeit ca. 150.000 inflationären Iranischen Rial (IRR). Hier ein Beispieltag für unsere Ausgaben – er veranschaulicht, wie günstig es sich für Touristen lebt.
    150.000 IRR – 2 x Frühstück
      30.000 IRR – Tasse Tee
   475.959 IRR – Übernachtung im Hotel:
   120.000 IRR – Gemüse und Trockenfrüchte zum Snacken
     70.000 IRR – Wasser
   400.000 IRR – 4 Tassen Kaffee im Cafe
   215.000 IRR – Chips, Nüsse
   120.000 IRR – 2 frisch gepresste Becher Möhrensaft
1.400.000 IRR – 2 x Abendessen in Restaurant inkl. Getränke
     60.000 IRR – Taxifahrt
   570.000 IRR – SIM-Karte mit 10GB Volumen
————
3.610.959 IRR : 150.000 IRR = 24,07 € für zwei (!) Personen.
Diese Rechnung wurde aus gegebenem Anlass von Chrissie erstellt ––>  https://www.rucksackundrentner.de/2019/02/12/reinhard-schlachtet-das-schwein
Aber zurück zum Abreisetag. 🙂
Um 10.30 Uhr soll unser VIP-Bus von Yazd nach Shiraz starten. Da das Busterminal weit vor der Stadt liegt, kämpfen wir uns schon um sieben aus den Betten. Duschen, aufräumen, packen. Das Übliche halt. Beim Frühstücksbüffet auf dem Dach dichtes Gedränge. Der Nachschub an Kaffee und Rührei kommt nur schleppend. Ich werde leicht kribbelig, als Chrissie meint, sich bei einer jungen Chinesin noch ausführliche Reisetipps einholen zu müssen. Die Uhr tickt.
Um neun stehen wir endlich zum Auschecken an der Rezeption. Wie immer, wenn man es eilig hat, ist Geduld die höchste Tugend: Vor dem Pult steht ein vietnamesischer Nerd. Er bezahlt in Dollars, das Wechselgeld kommt in iranischem Geld. Der Gast zückt sein Mobiles und tippt los. Offenbar interviewt er seine Wechselkurs-App – und die scheint was anderes zu berechnen als der Hotelmitarbeiter. Eine längere Verhandlung beginnt. Mein Pulsschlag steigt und ich wundere mich, warum Chrissie die Ruhe weg zu haben scheint. Endlich schiebt der Portier einen weiteren Schein über den Tisch – und wir haben freie Bahn.
Alles sieht gut aus. Das Ticket für den Fernbus nach Shiraz ist da. Über unsere Snapp! -Taxi App finden wir nicht nur das Terminal, sondern auch schnell einen Fahrer. Er fragt auf Farsi nochmal nach und wir nennen den Namen der Busstation. Prima, er weiß Bescheid und düst los.
Als ein Abzweig zum Terminal kommt, steuert er geradeaus weiter. Okay, denke ich, diese Straße ist leerer und vor uns muss eine Autobahn liegen. Stimmt. Aber dann, wenige Minuten später, stoppt er vor einem eisernen Tor, hinter dem etliche LKWs parken, und zeigt nach vorn: „Terminal!“
Uns stockt der Atem. Hier wehen lediglich ein paar Steppenläufer durch den Staub zwischen riesigen, schmutzigen Reifen. Wie zur Hölle kann man auf Idee kommen, dass zwei Rucksacktouristen mit einem Lastwagen nach Shiraz fahren wollen?
Die Zeit wird mal wieder knapper, als sie soll, und mir bricht der Schweiß aus. Schaffen wir es noch? Energischer Wortwechsel, dann kapiert er und foltert die glatten Reifen auf heißem Asphalt zum Busterminal. Zehn Minuten vor dem geplanten Starttermin hasten wir mit unserem Gepäck durch die Schalterhalle und suchen unseren Bus. Ein Angestellter schickt uns nach draußen: „Rechts, Startplatz 1.“
Die Bussteige sind nicht nummeriert. Aber wenn man von rechts durchzählt, ist Nr. 1 leer und auf der 2 steht ein Bus mit laufendem Motor. Der Fahrer ruft uns „Izfahan“ entgegen. Danke, da waren wir schon.
Von den wartenden Touristen reagiert auch niemand. Wir sprechen sie an. Sie wollen auch nach Shiraz. Nur der Bus fehlt …
30 Minuten später kennen wir alle wartenden Touries.
Und nach 45 Minuten fährt endlich der richtige Bus vor. Bequeme Sitze, Saft und Kekse für alle. Kaffee wäre mir lieber gewesen, aber man kann nicht alles haben. Statt dessen schließe ich für zwei Stunden beruhigt die Augen: Draußen gibt es vorerst nur Wüste zu sehen und passieren kann sowieso nichts mehr. Denke ich.
Nach einem Raststättenstopp zeigen wir dem Fahrer, wo wir aussteigen wollen. An einer Weggabelung. Rechts führt ein Sträßlein nach Marvdasht, geradeaus nach Shiraz. Der Pilot nickt.
Kurz darauf wechselt die Landschaft. Hinter einem Gebirgspass öffnet sich ein weites, grünes Tal. Fantastisch. Und dann stoppt der Bus und wir werden direkt neben der Fahrbahn abgesetzt. Von unserem Host Ali Pascha keine Spur. Aber von unten, gleich neben einer Autobahnunterführung, winkt jemand herauf. Wir klettern und stolpern mit unseren vier Rucksäcken den Abhang hinunter. Ein Taxifahrer. Chrissie zeigt ihm die Mail mit Paschas Adresse. Er nickt, wir fahren los. Eine Schnellstraße mit dem üblichen Bild: Läden und Werkstätten. In Deutschland würde man das ein Straßendorf nennen. Doch diese Ortschaft ist deutlich größer.

Chrissie

[Anm.: Dieser Textteil muss ohne Fotos auskommen. Es war zu beklemmend, um in Marvdasht zu fotografieren]

Endlich angekommen. Wir halten in einer Sackgasse .Die Sonne knallt uns auf den Kopf und ich habe einen Brand, mit dem ich ganze Wälder verheeren könnte. Links und rechts einige Wohnhäuser. Direkt vor uns versperrt einer dieser kleinen Supermärkte den Weg, in denen es fast alles gibt, nur keine Getränke.
Der Taxifahrer deutet auf die letzte Haustür rechts. Kein Name, keine Hausnummer. Sind wir wirklich an der richtigen Adresse? Der Chauffeur nickt und klingelt.
Drei Minuten lang passiert gar nichts. Zweiter Versuch. Nach weiteren drei oder vier Minuten öffnet sich endlich die Tür. So sieht er also in natura aus, der Herr Pascha. Ein junger Kerl Mitte 
20 mustert uns mit verschlafenem Gesicht. Wir lächeln, was das Zeug hält, und stellen uns vor. „Vielen Dank für die Einladung. Das ist so nett. Wir freuen uns, dass wir hier sein dürfen.“
Mit dem Charme und Tempo eines Zweifingerfaultiers gibt er den Weg frei und murmelt: „Welcome“. Er verzieht keine Miene dabei. Wie es die Höflichkeit gebietet, ziehen wir die Schuhe aus und schleppen unser Gepäck hinein. Eines der typischen Wohnzimmer mit riesigem beigefarbenen Teppich und einigen eleganten Ohrensesseln, die an der Wand aufgestellt sind wie in einem Wartezimmer.
Wortlos deutet Pascha auf eine Ecke, in der wir unsere Rucksäcke abstellen können. Dann setzt er sich und weist mit dem Kopf auf die Sessel neben ihm. Wir setzen uns gehorsam. Danach passiert lange zwei Minuten nichts. Pascha ist schwer mit seinem Handy beschäftigt. Ich räuspere mich mit ausgetrocknetem Hals „Du hast in deinem Profil geschrieben, dass du Englischlehrer bist.“
Unwillig blickt er auf. „Ja.“
Dann Schweigen. Handy.
„Ähm, Reinhard ist auch Lehrer. Magst du deinen Job?“
Kurzes Nicken.
Meine Güte, was ist denn mit dem los? Will der gar keinen Besuch?, denke ich. Reinhard und ich tauschen einen Blick. Ich sehe, dass er dasselbe denkt.
Mein Durst tobt derweil wie ein Wüstensturm, aber ich wage es nicht, nach einem Wasser oder Tee zu fragen. Wie wir von Ahmad gelernt haben, wäre das grob unhöflich, denn dadurch sagt man seinem Gastgeber, dass er ein schlechter ist. Ein No Go.
Wir schweigen weitere zehn Minuten. Es ist kaum auszuhalten für mich. Bad vibrations. Am liebsten würde ich mich wieder verziehen. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also frage ich mit krächzender Stimme: „Wo ist denn deine Frau?“
„Die kommt später“
Aha, denke ich. „Und deine Eltern?“
„Die sind ausgegangen.“
Verlegen rutsche ich auf meinem Sessel herum. „Ähm, was erwartest du von uns?“
Endlich habe ich seine volle Aufmerksamkeit. „Was meinst du?“, will er wissen.
„Wie stellst du dir unsere gemeinsame Zeit vor?“
Er versteht mich nicht. Und ich tausche weitere verzweifelte Blicke mit Reinhard. Aber er kann in dieser kruden Situation auch nichts machen.
Ich checke mit meinem Handy, ob es hier ein WLAN gibt und werde fündig. SSID ist „Pascha“, das Signal ist stark.
Ich frage ihn, ob er uns das Passwort geben kann? Aber Pascha schüttelt entsetzt den Kopf. Nein, seine Frau sei schwanger, die WIFI-Strahlen können dem Baby schaden.
Nein, nicht mit den Augen rollen! Lächeln. „Aber hier ist doch eins mit deinem Namen.“
„Das gehört dem Nachbarn.“
Aha, denke ich erneut.
In diesem Moment schwebt die Gattin eine Treppe herunter ins Wohnzimmer. Sehr jung, stark geschminkt und, falls das möglich ist, noch wortkarger als ihr Mann. Immerhin setzt sie das ersehnte Teewasser auf. Einige Minuten später können wir unseren Durst stillen. Aber die Konversation bleibt schleppend wie eine Grippe.
Auf Reinhards Bitte hin zeigt Pascha uns die sanitären Anlagen. Ein Häuschen mit drei Türen auf dem Hof. Hinter der einen sei das WC, hinter der nächsten die Dusche und hinter der dritten der Waschraum. Toll. Das kann heiter werden, denn in diesem Räumen gibt es nirgends einen Haken, an dem man die Kleidung aufhängen kann.
Und wieder sitzen wir schweigend. Bis … ja, bis die Dame des Hauses eine eigene Bitte äußert. Ob wir europäisches Geld dabei hätten. Sie würde so gern mal welches sehen. Wir zeigen ihr je eine Note über 20 und 50 Euro. Endlich werden die beiden lebendig. Mit leuchtenden Augen untersuchen sie Minuten lang die Scheine. Vorsichtig berühren sie die Sicherheitsmarkierungen und betrachten die Wasserzeichen – mit einer Andacht, als handele es sich um eine besonders wertvolle Ausgabe des Korans.
Ob wir ihnen auch Dollars zeigen könnten. Reinhard greift schon zur Gürteltasche, aber bei mir schlagen alle Glocken Alarm.
Unsere Dollar seien noch im großen Rucksack. Die müsse ich erst suchen, lüge ich.
Mit den Euronoten verschwindet auch der Glanz aus den Augen der beiden. Wie bei einem  Kind, das das Türchen Nummer 1 eines Weihnachtskalenders öffnen will – und dann feststellt, dass der Bruder die Schokolade bis zum Heiligabend weggefressen hat. (Ich weiß sehr gut, wie solche Augen aussehen, denn meine Eltern hatten seinerzeit viele Spiegel in der Wohnung.)
Nachdem Pascha sich gefangen hat, erwähnt er den Besuch in Persepolis. Sein Vorschlag: Ein Auto mieten. Oh, denke ich, er hat gar kein Auto?
„Was kostet das denn?“, frage ich.
„Was darf es denn kosten?“, will er wissen.
„Keine Ahnung“, sage ich. „Ich weiß ja nicht, was so ein Auto kostet“
„Ich auch nicht“, sagt er.
Ich antworte ihm, dass man bei uns in DE schon für 30 Euro pro Tag einen Wagen bekommt, und dass es nicht mehr kosten solle.
Pascha sagt, er habe gleich noch einen Termin, 2 Stunden circa. Vielleicht habe er danach noch Zeit, um zum Autoverleih zu fahren.
Er lässt sich 20 Euro von mir geben, für den Fall, dass man etwas anzahlen müsse. Wir erstarren. 2 Stunden eingesperrt im Haus? Wo wir schlafen können, frage ich.
Pascha guckt erstaunt. „Hier.“ Er deutet auf den Perserteppich auf den wir die ganze Zeit schon starren. Ich muss raus. Kriege in dieser gedrückten Stimmung kaum noch Luft.
„Wir könnten solange einen Spaziergang machen, Reinhard“, schlage ich vor.
Pascha wird wachsam. „Warum? Wo wollt ihr denn hin?“
Es gefällt ihm nicht. Das sehen wir ihm an, aber endlich gibt er den Weg frei. Ein wenig weiter gäbe es einen schönen Park und ein Café. Wenn wir zurückkämen und er noch nicht da sei, sollen wir ihn anrufen – dann kämen seine Eltern.
Warum die werte Gattin die Tür nicht öffnen könne – diese Frage verkneife ich mir. Zu froh sind wir, das Geisterhaus zu verlassen. Unterwegs zum Park kontaktiere ich unsere Freunde in Teheran, in Qazvin und Fuman in Sachen Mietwagen. Mir kommt das Ganze komisch vor. Wenn Pascha schon häufiger Gäste hatte, und das hatte er, dann müsste er doch die Preise kennen.
Resultat der Antworten, die am nächsten Morgen fast zeitgleich per Whatsapp eintrudeln: Für einen Tag seien 20 € Miete das Maximum. Iraner zahlen meistens 12 bis 15 Euro. Einer der Antwortenden fand sogar, dass für 20 Euro ein Auto plus Fahrer drin sei. Alle waren sich auch einig: Eine Anzahlung sei unüblich. So eine Agency in Iran sei nicht mit einem europäischen Verleih zu vergleichen.
Ersparen wir uns den „Park“ und das „Café“. Den einen Ort beherrschen ein paar Kinder und den anderen gelangweilte Halbstarke. Und bald haben wir ein Rudel Menschen hinter uns, die alle wissen wollen, was wir in Marvdasht suchen. Also, wie von Pascha aufgetragen, lügen wir, dass wir in Persepolis wohnen, und hasten zurück zum Haus. Eine Minute nach dem Anruf kommen die Eltern und schließen auf. Vertrauenswürdige, ehrenhafte Leute, beide wohl in den 60ern. Die Mutter bereitet das Abendessen vor, der Vater versucht mit 15 Wörtern Englisch ein Gespräch.
Nun erscheint auch Pascha samt Gefolge. Kein Wort über das Auto. Wir fragen auch nicht. Das Vertrauen ist ohnehin schon angekratzt. Ich durchforste meine zahlreichen Couchsurfing-Shiraz-Einladungen und finde, was ich suche. Ein Angebot als Fahrer gegen kleines Entgelt. Ich schreibe die Dame an. Jetzt heißt es: Warten.
Das Essen ist fertig. Gebratener Reis mit einem Hauch Safran und Fladenbrot. „Delicious Food“ geht anders. Aber es stört uns nicht. Bauch voll, toll. Ich helfe im Anschluss beim Abwasch und beim Zupfen eines Weidenkorbs voll frischer Minze. Wir glotzen noch etwas iranisches Fernsehen. Pascha spielt lieber Online-Schach, als sich mit uns zu unterhalten. Die Göttin des Hauses verschwindet in den oberen Gemächern, ohne „Gute Nacht“ zu sagen.
„Noch ne Nacht bleiben wir nicht“, sagt Reinhard auf Deutsch zu mir. Überflüssig, dies auszusprechen. Einiger als wir könnten sich höchstens die deutschen Buchhändler sein, die freundlichst darauf verzichten, Alice Weidels neuestes Kakofakt zu verkaufen …
Am nächsten Morgen weiß ich alles, was wir wissen müssen. Eine E-Mail sagt mir, dass unser Gastgeber seinen Couchsurfing-Account gelöscht hat. Ich spreche ihn darauf an. Er behauptet, er habe nichts gemacht. Vielleicht läge es daran, dass er gestern sein Handy zurückgesetzt habe. Der hält uns für total blöde, denke ich und erkläre ihm, dass sein Account sicher auf einem Server liegt. Er bleibt bei seiner Geschichte. Dann berichte ich ihm, was ich gerade auf meinem Handy lese.
„Du brauchst dich nicht mehr um einen Mietwagen bemühen. Ich habe Wagen und Fahrer für 20 Euro organisiert.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Er habe aber schon einen Mietwagen.
„Können wir den nicht wieder zurückgeben? Wir sind doch noch gar nicht gefahren.“
Nein, er habe schon die Miete mit seiner Karte bezahlt.
„Wieviel?“, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.
„Umgerechnet 20 Euro.“ Und es könnte noch etwas dazu kommen.
Ich sage, dass wir den Fahrer bestellen. Pascha rennt nervös raus. Kommt dann wieder. „Wir kriegen einen Rabatt“, sagt er. „15 Euro Miete.“
„Der Fahrer ist schon unterwegs“, antworte ich. „Kann ich bitte die Nummer vom Mietwagenverleih haben?“
„Der wird euch nicht verstehen. Der spricht nur Farsi.“
„Ich habe einen guten Freund“, sage ich.
Pascha wird nun böse. „Ihr vertraut mir nicht.“
„Wir vertrauen dem Mietwagenverleiher nicht“, lüge ich erneut, bemüht, dass wir irgendwie glimpflich aus der Situation rauskommen. Immerhin dauert es noch endlose 45 Minuten, bis unser Fahrer da ist.
Diese Zeit haben wir nicht.
„Meine Eltern wollen ausgehen. Deshalb müsst ihr jetzt los.“
„Zum Mietwagenverleih?“, ätze ich zurück, als wir unsere Rucksäcke im Kofferraum eines Peugeots verstauen, in dem etliche persönliche Gegenstände liegen.
„Nein, nach Persepolis.“
Während der Fahrt spricht niemand mehr. Pascha knüppelt den Wagen die 8 km zum Ziel. Lass diesen Tag zu Ende gehen, denke ich. Unser Fahrer ist fix informiert. Prima. Der kommt gegen Mittag, um uns abzuholen.
300 Meter vorm Ziel hält Pascha den Wagen abrupt an. „Hier darf ich nicht weiterfahren.“
Bullshit. Alle anderen fahren an uns vorbei bis zum Eingang. Stinkesauer greifen wir unser Gepäck.
„Be happy with the rental car“, wünsche ich und betone das „rental“ so süffisant, wie ich kann.
Draußen. Aufatmen. Mein erster Gedanke: Ahmad informieren, wie es ausgegangen ist. Ich rufe ihn an. Das sieht Pascha. Und plötzlich rennt er mir wütend hinterher und hält mir meinen Zwanzigeuroschein vor die Nase. „Hier, du kannst das Geld wiederhaben.“
Reinhard und ich lassen ihn stehen. „Danke, nein. Wenn du das Geld vorgestreckt hast, dann sollst du es behalten. Werde glücklich damit.“
Wir rauschen ab und wissen: Der neue Tag kann nur besser werden. Und das wurde er. Denn kaum waren wir aus der Hölle namens Marvdasht raus, finden uns die iranischen Engel wieder. Alles fügt sich.  Die Tochter des Fahrers, die alles organisiert hat, fragt, ob wir bei ihnen schlafen wollen, und einen Tag später finden wir Freunde fürs Leben. Aber das ist eine eigene Geschichte. Sie beginnt mit einem Sprichwort, das jeder in Shiraz kennt.
„Traue niemals einem aus Marvdasht.“

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8 thoughts on “Traue niemals einem aus Marvdasht”

  1. Matthias Fink sagt:
    6. November 2020 um 17:36 Uhr

    Ich habe ihn damals unter dem Namen Milad kennen gelernt. Es War genau die selbe Nummer, er lud mich zu sich ein und warf mich nach einer Nacht wieder aus seinem Haus. Ich habe viele anderer Reisende getroffen die ebenfalls nach Marvdasht gelockt wurden um am Ende gleich ein Auto vom „Autoverleih“, angedreht zu bekommen.

    Antworten
    1. chbo-admin sagt:
      7. November 2020 um 0:35 Uhr

      Ja, der Besuch in Marvdasht bleibt auch uns unvergessen. Wir haben ebenfalls nach unserem Aufenthalt eine Bekannte wiedergetroffen, die einen merkwürdigen Mailkontakt mit ihm hatte. Da hieß er auch anders und baute richtig Druck auf, dass sie kommen sollte, weil er extra für sie einen Termin verschoben hatte. Zum Glück waren solche Leute die Ausnahme im Iran. Wir haben auch jetzt noch so viele tolle Kontakte aus dieser Zeit und mit unseren Herzensiranern aus Shiraz telefonieren wir jede Woche via WhatsApp …und mittlerweile sogar in gutem Deutsch 😊

      Antworten
  2. Gitte und Peter sagt:
    1. Mai 2019 um 12:44 Uhr

    Beim Lesen eurer spannenden Erlebnisse wurde uns schon ganz anders. Aber meistens geht dann doch alles gut. Wir drücken euch die Daumen und fiebern mit euch.
    Eure Fotos sind traumhaft.
    Viele Grüße zum 1. Mai aus Bochum

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      1. Mai 2019 um 20:36 Uhr

      Euer Lob tut gut! Und keine Bange! Hinterm Horizont geht’s weiter! 🍀

      Antworten
  3. Annemarie Otter sagt:
    1. Mai 2019 um 12:30 Uhr

    Hallo ihr Lieben,
    nach all den wunderbaren Erlebnissen nun das! Ehrlich gesagt, das kennen wir auch. Etliche Male waren wir in Marokko, fühlten uns geborgen und sicher und dann mussten uns doch echt Typen begegnen, die glaubten uns über den Tisch ziehen zu können. Aber glaubt mir, ohne diese Kontraste wäre so eine Reise farblos. Auch wenn es uns damals schwer enttäuscht hat. Heute denke ich anders und auch ihr werdet bestimmt heute schon darüber lachen können. Wir freuen uns schon auf weitere Berichte!!! Peter fragt oft, was die „Rentner“ machen, ob sie sich denn gar nicht mehr melden. Er war vor einigen Jahren auch im Iran, also gibt es da in einigen Monaten ja viel auszutauschen und ich übe schon mal, diese phantastischen Kekse zu backen.
    Weiterhin gute Reise! Peter und Annemarie

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      1. Mai 2019 um 20:45 Uhr

      Wir sind schon lange drüber weg. Ein paar Armleuchter gibt es überall. Und zum Glück auch immer Leute, die helfen. Peters Frage nach den Rentnern beantworte ich gern per Mail. Schickt mir doch zur Sicherheit nochmal Peters Adresse. Ich leite siie dann weiter. HeißeMaigrüße vom Persischen Golf! 🌷

      Antworten
  4. Bodo und Heidi sagt:
    1. Mai 2019 um 11:19 Uhr

    Hallo, Ihr Lieben, viele Grüße in die weite Welt, wo immer auch im Moment seid!
    Euer Bericht ist wieder einmal an Spannung nicht zu toppen!
    Unterwegs im Iran, ein Erlebnis in einem Land voller Kontraste!
    Wie wir bei Google Maps gesehen haben, sind aufgrund der Größe des Irans lange Tages-/Nachtstrecken unvermeidbar. Aber der Weg ist das Ziel, kommt gut am nächsten Ziel an!
    Wir verfolgen Euren Weg und freuen uns auf weitere Berichte/Fotos vom Land und seinen Sehenswürdigkeiten, seinen Menschen und natürlich auch von Euch!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      1. Mai 2019 um 20:56 Uhr

      Im Moment sind wir auf der iranischen Insel Qeshm-Iland im Persischen Golf – heiß wie die Hölle. Und mehr als einen Tag ohne Internet. Morgen schreiben wir auf, wie wir hierher gekommen sind. Kann aber sein, dass wir das erst übermorgen (vor dem Abflug nach China) hochladen können. Liebe Grüße – bleibt fit!

      Antworten

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