Skip to content
(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt
  • Wir über uns
  • Impressum / Datenschutz
  • Cookie-Richtlinie (EU)
  • Search Icon

(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Wir mit Hani
Wir töten keine Taxifahrer

Wir töten keine Taxifahrer

13. Juni 2019 Christiane Bogenstahl Comments 4 comments
Print 🖨 PDF 📄 eBook 📱
  • teilen 
  • twittern 
  • teilen 
  • teilen 

Christiane:

Die Moskitonetze im Sabah Teagarden halten, was sie versprechen. Trotz der vielen PLONKS, PLACKS, und KLOPPS falle ich umgehend in einen erholsamen Tiefschlaf. Reinhards Augenringe am nächsten Morgen erzählen eine andere Geschichte. „Nie wieder!“ ist sein erster Satz, als er wach wird. Ich grinse nur. „Dir auch einen guten Morgen.“
Erst nach einem Frühstück auf der fabelhaften Terrasse der Plantagen-Unterkunft erkenne ich wieder Tatendrang in Reinhards Gesicht. „Und? Was machen wir heute?“, fragt er nach. „Hot Poring Springs“, antworte ich.  „Ist nicht weit weg von hier. Heiße Quellen, einen Schmetterlingsgarten und die größte Blume der Welt gibt es auch in der Nähe.“
„Aber wir schlafen woanders, oder?“
„Klar. Ranau Backpackers. Schon gebucht. Zimmer mit eigenem Bad.“
Reinhard auf der Terrasse
Sabah Teagarden
Reinhard brummt zufrieden und um 09:00 Uhr sitzen wir schon im Auto und folgen der Route, die unsere Maps.Me App vorschlägt. Das klappt erstmal gut, bis wir rechts abbiegen sollen.
Eigentlich hätten beim Anblick des schmalen Abzweigs von der Hauptstraße alle Alarmglocken schrillen müssen. Wie lange ist es her, dass wir in Jordanien im Schlamm stecken geblieben sind, als wir einem solchen Abzweig folgten? Uns kommt es vor wie Jahrzehnte. Wer springt nach solch langer Zeit nicht gern lachend ein zweites Mal  in die Klinge?
Am Anfang sind wir begeistert von der tropischen Vegetation links und rechts.

So eine hübsche Straße
So eine hübsche Straße
Und noch eine schönere Straße
Hach, das ist aber auch schön

Aber die Straße wird immer schmaler. Kommen da überhaupt zwei Auto aneinander vorbei? Neun Kilometer noch, zeigt die App. Okay. Dann stehen wir vor einem schwarzem SUV. Wir haben Glück. Der Fahrer begreift sofort, welches Auto in einen Graben fahren kann und welches nicht. Mein ungutes Gefühl verstärkt sich. Die Straße verwandelt sich in einen Schotterweg namens „Reifenhändler’s Dream“ – selbstverständlich mit Deppenapostroph, denn als Deppen sind wir ja gern unterwegs.
Linksseitig sehe ich ein Holzhaus mit kleinem verwilderten Vorgarten, von dem aus eine alte Frau zu uns herüber blickt. Ihr Gesicht gleicht einem Fragezeichen. Ich winke ihr freundlich zu, frage mich aber gleichzeitig, ob sie noch nie Touristen gesehen hat. Immerhin ist das doch der Weg zu einer nicht unbekannten Sehenswürdigkeit …
Nur 200 Meter weiter verwandelt sich mein Gesicht in ein Ausrufungszeichen. Ein rotes! Weiter vorn geht unsere Straße bergauf weiter. Aber warum kreuzt ein Bach die Straße? Kein Bächlein jetzt. Ein erwachsener Bach. Mit dickem Wackersteinen, über die das Wasser plätschert.
Wir brauchen gar nicht darüber nachdenken, ob das eine Option für unseren malayischen Proton ist. Die Auffahrt zum Sabah Teagarden war schon eine Herausforderung für den Automatikwagen.
Gemeinsam schauen wir uns die Karte an. Dann den realen Weg. Sechs Kilometer sollen es noch sein. Sowas Blödes. So kurz vorm Ziel die ganze Strecke wieder zurück? Reinhard zeigt nach rechts. „Vielleicht müssen wir da rauf?“
Ich schaue in die Richtung der noch steinigeren und noch schmaleren Auffahrt. „Okay, wir können ja mal gucken.“
Bllöde Idee. Saublöde Idee. Nach knapp einem Kilometer sehe ich in der App, dass erstens die Richtung nicht stimmt und zweitens die Straße zu einem Trampelpfad verkümmert. Links und rechts des Wegs Gräben. Was sonst?
„Wir müssen drehen“, sagt Reinhard.
„Ach was?“, frage ich gereizt zurück. „Und wo?“
„Fahr doch noch ein Stück weiter. Vielleicht ist da ja …“
„Nix da“, sage ich. „Ich fahre rückwärts. Ist so schon schlimm genug.“
Ist es. Ich kann nämlich vieles, aber eines nicht: rückwärts fahren. Schon gar nicht in einem Wagen mit Rechtslenker und auf dieser Miststecke. Dies ist einer der Momente, an denen ich gern alle Verantwortung abgeben möchte.

Eine halbe Stunde brauche ich, um den Kilometer mit Heck voran zurückzufahren. In kleinen Schlangenlinien. Mehrmals ruft Reinhard „Stop“, weil einer der Reifen gefährlich am Grabenrand rollt.  Dann muss ich wieder ein Stück vorfahren. Mein Stresslevel liegt bei  DEFCON 1, als ich endlich wieder an der Gabelung angelangt bin. Ich zittere und bin durchgeschwitzt. Die Art von Schweiß, die man selbst nicht an sich erträgt. Als Reinhard den Wunsch äußert, eine Zigarette zu rauchen, entlädt sich meine Anspannung auf ungute Weise.
Warum? Keine Ahnung. Eine Pause würde mir in diesem Moment sicher auch gut tun. Vielleicht brauche ich aber auch einfach eine Umarmung. Du Pussy, würde meine beste Freundin Uschi jetzt sagen. Aber sie ist nicht da, um mich moralisch aufzubauen. Und Reinhard erkennt nicht, was los ist. So fahre ich völlig fertig und frustriert rückwärts auf ein kleines Rasenstück und wende. Als ich ohne Rücksicht auf die Reifen am Haus der alten Frau vorbeibrettere, gönne ich ihr keinen Blick mehr. Die hätte ja mal was sagen können. Böse Alte, böse Straße, böser Bach, böser Reinhard, denke ich. Und als ich endlich auf die Hauptstraße abbiege, um die korrekte Route einzuschlagen, denke ich nur noch eins: böses, böses Ich.
„Tschuldigung“, murmele ich. Reinhard drückt mir die Hand. „Kann ich jetzt eine rauchen?“
Eine halbe Stunde später kommen wir bei den Poring Hot Springs an, zahlen Eintritt, betreten den Park. Ungläubig stehen wir auf einem Gelände, das mehr an das Wattenscheider Wellenbad als an naturbelassene heiße Quellen denken lässt. Reihe um Reihe geflieste Becken, in denen etliche Einheimische ihre Füße oder ihre verschwitzten Leiber baden.

Heiße Quellen
Dazu ein Kinderschwimmbecken und ein größerer Pool, für den man extra Eintritt zahlen muss. Wir sind enttäuscht. Trotzdem entscheiden wir uns für eine kleine Abkühlung. So haben wir das Badezeug wenigstens nicht umsonst mitgenommen.
Als wir später wieder getrocknet sind, erkunden wir den Park. Der Schmetterlingsgarten gefällt uns gut. In dieser Größe und Farbenpracht kannten wir die Flattertierchen bisher nur mit Nadel im Rücken. Das hier ist ungleich schöner.

BVB Schmetterling
BVB Schmetterling
Schwarzer Schmetterling
SGW Schmetterling
Brauner Schmetterling
St. Pauli Schmetterling?
Komischer Schmetterling
Noch nicht klassifiziert

Die tropischen Blumen bieten ebenfalls schöne Fotomotive.

Paradiesblume
Blume
Sternförmige Blüte
Lila Blume
Gelbe Blume
Weiße Blume
Rote Blüte
Blüttenrausch
Purpurfarbene Blüte

Danach wandern wir. Reinhards Alptraum ist dabei der Canopy Walkway.

Canopy Walkway

Hoch zwischen den Bäumen auf einer schaukelnden Hängebrücke zu balancieren, ist nicht jedermanns Sache. Aber das weiß man erst, wenn man draufsteht und nicht mehr zurück kann. Zumindest wissen wir jetzt, dass er auf bewegten Brücken nicht schwindelfrei ist.
🤓

Reinhards Alptraum
Schwanken ohne Alkohol
Reinhard - fix und alle
Fertig mit allem

Kurzen Zeit später wird Reinhards entschädigt. Wir finden einen kleinen Wasserfall. Für den lässt er gern nochmal die Hüllen fallen, um gemeinsam mit einigen anderen jungen Männern im Wasser zu planschen.

Wasserfall

Wir trennen uns hier, da ich gern noch die Fledermaushöhle sehen will, von der ich auf einem Schild gelesen habe. Die entpuppt sich allerdings als Enttäuschung. Siehe Video.
Mein persönliches Highlight folgt erst nach Verlassen des Parks. Denn ich bin sehr gespannt auf die Rafflesia. Und es gibt im gesamten Umkreis zurzeit nur ein einzelnes blühendes Exemplar – In „Vivian‘s Natural Rafflesia Garden“.

Rafflesia Garden

Die Rafflesia ist eine ganz besondere Blume. Wie viele Pflanzen sind so berühmt, dass sie es auf einen Geldschein geschafft haben?

10 MYR
Entdeckt hat sie um 1821/22 Sir Thomas Stamford Raffles, ein Forscher, der außerdem als Begründer des modernen Singapurs gilt, während einer Expedition durch Bengkulu Sumatera.  Dem Forscher verdankt sie dann auch ihren Namen. Mr. Raffles und sein Partner Arnold haben sich beim Anblick dieses imposanten Vollparasiten wohl erstmal die Augen reiben müssen. Wir auch, denn die Blüte ist pornös groß.

Rafflesia
Reinhard und Rafflesia
Bis zu 90 cm im Durchmesser und bis zu 6 kg schwer kann diese werden. Damit gilt sie als größte Blüte der Welt. Selten ist sie auch, die Rafflesia arnoldii. Wir lesen, dass sie einer eigenen Pflanzengattung angehört und nicht nur eines der seltensten Gewächse der Welt ist, sondern DAS seltenste Gewächs überhaupt. Das Maß an Sonne und Schatten muss genauso stimmig sein wie Boden, Feuchtigkeit, Beschaffenheit des Wirtes und umgebende Tierwelt. Hinzu kommt: Die Mammutblüte ist empfindlicher als ein Mimöschen. Eine Berührung der Blüte reicht, und sie vergeht zu schwarzem Schleim. Nur 15% aller Knospen, die aussehen wie kleine schwarbraune Kohlköpfe, blühen überhaupt auf.
Rafflesia nah
Und wenn es dann eine mal geschafft hat, ist die Lebensdauer kurz. Maximal sieben Tage, bis sie verwelkt und so aussieht wie sie riecht – nach verfaultem Aas.
Rafflesia näher
Unheimlich irgendwie.. Ich frage mich, welche Aliens hier versehentlich ein paar Samen ausgestreut haben.
 
Vegan geht fast immer
Vegan geht fast immer

Nach einem vorzüglichen Mal in einem kleinen Restaurant und noch vor Einbruch der Dunkelheit fahren wir zurück nach Ranau, checken ein, waschen Wäsche und suchen einen Shop, der Bier verkauft. Das ist in dem vorwiegend muslimischen Land oft nicht ganz einfach. Reinhard ist glücklich, dass er nicht von schwarzflügeligen Monstern gejagt wird, und ich, weil wir unser Bier auf der Außenterrasse unserer Unterkunft trinken können.

Reinhard:

Die Stadt Ranau erlangte im 2. Weltkrieg traurige Berühmheit: durch einen Todesmarsch von Gefangenen. Diesen Begriff kannte ich bisher nur aus der Geschichte des Nazireichs. Die Überlebenden aus diversen Konzentrationslagern wurden 1945 durch das Land getrieben, damit sie nicht von den Tommies oder Amis befreit werden konnten – Tausende von Toten und traumatisierte Überlebende.
Borneo war im 2. Weltkrieg zeitweise von Japan besetzt. In einem Lager bei Sandakan hielten sie auch mehrere tausend englische und australische Soldaten gefangen. Als die US-Marine sich 1945 der Insel von Osten näherte, waren von den mehr als 2500 Gefangenen nur noch 1356 übrig. Die anderen waren an Unterernährung, Krankheit oder aufgrund der grausamen Behandlung durch die Japaner gestorben. Von den Überlebenden überließ man 290 Gefangene im Lager, die nicht mehr gehen konnten. Sie starben allesamt. Die restlichen 1066 wurden nach Ranau in Marsch gesetzt, weil man dachte, die Alliierten seien unterwegs, um die Gefangenen zu befreien. Berge, Flüsse, Urwald, Sümpfe, Hunger, Durst, Hiebe mit dem Gewehrkolben, Schüsse. Nur 6 Männer überlebten – weil ihnen unterwegs die Flucht gelang. Bewohner der Insel versteckten und pflegten sie, bis die Befreier eintrafen. Andere Fluchtversuche scheiterten.
All den Menschen, die im Lager und bei den Todesmärschen ihr Leben lassen mussten, ist ein sehr unmartialisches War Memorial auf dem Burgberg von Ranau gewidmet.
War Memorial
Drei schöne, stille Gärten mit Pflanzen aus den jeweiligen Ländern der umgekommenen Soldaten (Australien, England, Borneo) mit Hinweistafeln und eine kleine Ausstellung laden zum Nachdenken ein.

Australischer Garten

Englischer Garten
Mir stehen Tränen in den Augen, als ich die Biografien einiger dieser Männer lese.

Australische Ausstellung Zeitungsartikel
Besonders berührt hat mich das Schicksal eines Soldaten, der eine Flucht vorbereitete. Er fand Mitstreiter, die gemeinsam mit ihm kleine Essensrationen stahlen und zur Vorbereitung versteckten. Aber die Japaner fanden eines der Proviant-Verstecke. Unsägliche Folter drohte allen Gefangenen. Doch …. der Anführer, trat ohne zu zögern nach vorn und nahm alle Schuld auf sich. Eine Woche lang wurde er als abschreckendes Beispiel draußen angebunden. Japanische Soldaten urinierten auf ihn, traten ihn und gaben ihm nichts zu essen. Die Hitze und gnadenlose Sonne taten ihr Übriges. Nach dieser Zeit, mehr tot als lebendig, erlaubten sie den anderen Gefangenen, ihn loszubinden. Sie wuschen ihn, brachten ihn in eine überdachte Hütte. Dort starb er noch am gleichen Tag im Kreise seiner Gefährten.

Diese Menschen, von denen hier die Rede ist – sie haben Ähnliches erleiden müssen wie mein Vater und viele andere Menschen in der Nazizeit. Er hat überlebt, aber diese Engländer und Australier nicht. Es waren seine Kameraden – nur eben an einer anderen Front.
Während ich noch nach einem Taschentuch krame, kreischen einige Teenies durch die Museumsgärten und posieren für Selfies, als wären sie auf einer Kirmes. Keiner von den Sicherheitsleuten fühlt sich berufen, die Girls auf diesen kleinen Unterschied hinzuweisen. Als wir wieder im Wagen sitzen, bin ich recht still und lasse Chrissie machen. Ihre Idee für die heutige Autofahrt: Einfach mal treiben lassen. Irgendwohin im Richtung der See. Man werde schon irgendwo ein B&B oder ähnliches finden.

Chrissie:

Mir gefällt, was ich sehe. Kleine Straßen,  inmitten des überbordenden Grüns. Vereinzelt Hütten, die wie vergesse Relikte aussehen. Das Fahren macht mir Spaß. Immer wieder geniale Ausblicke über unzählige Bäume.

Provisorische Brücken
Panorama unterwegs
Einmal sehen wir sogar einen riesigen Waran auf der Straße liegen, der blinzelnd die Sonne genießt. Leider verschwindet er blitzschnell, als ich anhalte, um die Kamera in Position zu bringen.  Was mir nicht gefällt, sind die Hunde. Überall sehen wir sie. Herrenlos auf der Straße liegen oder wandern. Die Körper abgemagert, die Blicke traurig und hungrig nach Nahrung und Liebe. Einmal halte ich an, weil ich es nicht ertrage, an den beiden Promenadenmischungen vorbeizufahren. Sofort kommen sie auf mich zu, wollen gekrault werden. Ich muss schwer schlucken und streichle beide. Am liebsten würde ich sie alle retten. Aber so bleibt mir nichts anderes, als unsere letzten Toastscheiben zu verfüttern.
Als es anfängt zu dämmern und wir immer noch keinen Hinweis auf ein B&B finden, konsultiere ich unsere Navigations-App. Sie soll mir alle Unterkünfte in der Nähe anzeigen. „Das Nächste, was wir finden, nehmen wir, okay?“
Reinhard ist einverstanden. Und ich freue mich, als ich nur 6 km entfernt ein Resort mit dem klingenden Namen „Dragon Pearl Beach Resort“ entdecke. Dort finden wir ein Paradies vor, das wir da nicht vermutet hätten. Schon gar nicht, wenn uns vorher jemand gesagt hätte, dass man schon ab umgerechnet 6 Euro dort übernachten kann …

Richtungsschild Beach Resort
Wir erreichen das Resort zum Sonnenuntergang. Wow! Ist das schön. Weißer Korallensand am Meer, Mangobäume und Kokosnusspalmen auf der Wiese hinter uns. Wenige Hütten mit Blick aufs Meer, ein Longhouse („Nein, Reinhard, das nehmen wir nicht!“), ein Baumhaus und 5 Zelte. Am Strand einige Unterstände mit Holztischen und -bänken, ein Strandcafe. Außer uns scheinen gerade mal 5 Gäste dort zu verweilen.

Ankunft
Wir checken in eine der Hütten für zwei Nächte ein. Nach dieser Zeit müssen wir den Mietwagen zurück zum Flughafen bringen.
Ohnehin war der Wagen eigentlich Mumpitz. Denn auf Borneo fährt man am besten in einem Grabtaxi. Aber wir wussten da noch nicht, dass die Taxen auch zwischen den Städten fahren. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das hat nichts mit morbiden Mobilen, wie etwa den Beerdigungspanzern zu tun, die bei uns unbeirrbar über die Straßen rollen. Sozusagen one way. Haha!
Nein, das „Grab“ hat eher was mit „Grabschen“ bzw. „Abgreifen“ zu tun. Über eine App greifen die Fahrer Kunden auf – oder die Kunden sie. Das Prinzip kennt man, denkt man. MyTaxi und Uber haben es vorgemacht. Insbesondere Letzterer hat nicht gerade positive Schlagzeilen gemacht, weil die Fahrer schlecht bezahlt werden. Für den Kunden schlägt sich das natürlich auch auf den Preis nieder. Bei Grab gibt man Start und Ziel ein und erfährt sofort, was die Tour kostet und wie das Taxi aussieht, auf das man am Startpunkt warten kann. Und es kostet … fast nichts. Für eine halbstündige Taxifahrt von ca. 18 km zahlten wir beispielsweise 22MYR, ca. 4,50€. Wie kann sich so etwas rechnen?
Uns gabelt Hani auf der Ankunftsebene des Flughafens von „KK“ auf. Klein, untersetzt, rundes, fröhliches Gesicht. Sie wundert sich: „Kein Gepäck?“
Wir schütteln die Köpfe und erklären ihr die Sachlage. Unser Gepäck liegt in dem Ferienhäuschen, das wir gerne noch ein paar Tage länger nutzen möchten. „Und ohne Auto kommt man nicht dorthin!“
„Okay“, sagt sie und schiebt eine Frage hinterher: „Wieviele Fahrer haben die Fahrt angenommen und dann gecancelt?“
Woher weiß sie das nur?, denke ich und antworte: „Vier“.
Sie lacht. „Ja, das dachte ich schon. Ihr habt Glück, dass ich da war. Die meisten nehmen keine Fahrten an, wenn sie für die Rückfahrt keine Gäste kriegen.“
Sie wirft einen Blick auf die Adresse. „Das ist wirklich ein langer Weg. Aber egal. Ich brauche noch ein paar Kilometer für diese Woche. Außerdem liebe ich Herausforderungen.“
Hani spricht hervorragend Englisch, weiß viel über ihr Land und hat Humor – so wird es eine lustige Fahrt. Zwischendurch ruft sie sogar ihre Tochter an. Sie erklärt uns, dass diese seit vier Jahren Deutsch lernt. Endlich steht die Verbindung:
„Say something in German“, fordert die Mutter auf.
Stille im Apparat. „Los!“
„Äh, guten Tag!“
„Say more!“
Stille. Ich spreche ins Handy. „Guten Tag. Es ist schön, dass Sie Deutsch lernen.“
Stille.
„Speak with them!“, sagt Hani, aber uns wird klar, dass die Tochter entweder überfordert ist oder aber es nicht leiden kann, wie ein Tanzbär vorgeführt zu werden. Das Gespräch bleibt kurz. Wir nutzen die fast zweieinhalbstündige Autofahrt, um mehr über Land und Leute zu erfahren. Vorsichtig frage ich nach, ob man denn als Grab-Taxifahrer genug Geld verdient.
„Oh ja! Aber das hängt natürlich davon ab, wie viele Fahrten man annimmt. Bei mir sind es pro Woche etwa 100. Die brauche ich, damit ich weiter Platinum-Status habe.“
Sie erzählt, dass die Firma Grab ein gutes Konzept hat. Dass es keine Ausbeutung sei. Je mehr Fahrten man annimmt, desto besser sind die Vergünstigungen. „Autoreparaturen sind gratis, wir kriegen Prozente beim Tanken, bei neuen Reifen und Inspektionen.“
Ich bin nicht überzeugt. „Aber der Stundenlohn ist doch trotzdem eher mau.“
„Wir kriegen auch neue Handys und manchmal auch eine Geldprämie. Je nachdem, wie viel man fährt. Deswegen  will ich ja auch den Platinum-Status erhalten.“
Rund 800 Euro verdient sie mit der Fahrerei pro Monat, arbeitet im Schnitt von 07:00 – 19:00 Uhr. „12 Stunden am Tag?“, frage ich entsetzt.
Etwas angespannt wird die Stimmung, als wir die Schnellstraße verlassen und sie bergauf und bergab durchs Gebirge kurven muss. Die Gegend wird immer einsamer und die Straße immer enger.
„Wohin wollt ihr genau?“, fragt die Taxifahrerin, als wir nach 90 Minuten die asphaltierte Straße verlassen müssen – vor uns liegt zwischen Berg und Tal ein mal wieder sehr holpriger Schotterweg.
„Zu einem Strandhostel“, sage ich. „Ein sehr hübsches.“
Unsere Fahrerin scheint nicht überzeugt. Nach zehn Minuten fragt sie wieder. „Seid ihr sicher, dass ihr die richtige Adresse angegeben habt?“
„Ja.“
Wieder müssen wir abbiegen. Auf eine noch kleinere Nebenstraße. Die Sonne neigt sich schon dem Horizont entgegen. „Hierher? Wirklich?“
„Aber ja doch.“
Sie fährt langsamer, studiert die Route in der Grab App. Ihr Unbehagen ist so greifbar wie die Zigarettenschachtel, die Reinhard schon in der Hand hält. Es folgen zwei Telefonate, die auf Bahasa geführt werden.  Ich vermute, dass es Personenbeschreibungen waren und eine Angabe, wo man ihre Leiche suchen soll. Unsere Fahrerin wirft mir wie zur Bestätigung einen verstohlenen Seitenblick zu, um gleich darauf im Rückspiegel zu checken, ob Reinhard sich verdächtig verhält. Es ist skurril.
Ich tippe sie an. „Hani …“
Große Augen schielen mich an.
„Wir bringen keine Taxifahrer um!“
Reinhard ergänzt: „Zumindest nicht an einem Montag!“
Das Lachen im Wagen explodiert förmlich. Endlich! Aber keinem fällt auf, dass wir erst Sonntag haben …
Als wir im Resort ankommen, verdoppeln wir ihren Fahrpreis und laden Hani auf ein Getränk inklusive Sonnenuntergang ein. Sie nimmt an. Und als wir gemeinsam das letzte Rot am Horizont leuchten sehen, sagt unsere Fahrerin das Gleiche wie wir vor zwei Tagen. „Hier war ich nicht zum letzten Mal.“
Wir mit Hani
Wir mit Hani
Sonnenuntergang
Bis zum letzten Sonnenlicht

Allgemein, Borneo
Grab, heiße Quellen, Poring Hit Springs, Rafflesia, Taxi, Todesmarsch, verfahren, War Memorial

Post navigation

PREVIOUS
Luxusbett und Langhausschreck
NEXT
Flower Power auf Borneo

Hol dir alle Abenteuer bequem per Mail ins Haus.

Einfach kurz anmelden .... :-)

4 thoughts on “Wir töten keine Taxifahrer”

  1. Bodo und Heidi sagt:
    15. Juni 2019 um 10:54 Uhr

    Dieser Reisebericht geht unter die Haut!
    Naturerlebnisse in den Tropen mit allem, was dazugehört: einzigartige Straßen, ein ebenso einzigartiger Mietwagen, die größte Blüte der Welt, farbenfrohe Schmetterlingsarten, Balance halten auf einer schwankenden Hängebrücke, Planschen im Wasserfall, Zimmer mit Dusche in einer romantischen Holzhütte!
    Und dann die alte Dame mit dem Fragezeichen im Gesicht! Ob sie sich über Euer Winken gefreut hat? Endlich mal eine Abwechslung in ihrem Leben!
    Ach, es ist so schön und so spannend, Eure Abenteuer zu verfolgen!
    Das Ende dieses Erlebnisses hat uns besonders gefreut: Euer gemeinsamer Abend mit einem hilfreichen Engel!
    Täglich neue Herausforderungen, Mut und ganz viele Glücksmomente! Macht weiter so!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      16. Juni 2019 um 17:46 Uhr

      Von wegen Holzhütte mit Dusche! Da musstest du dir dein Handtuch achnappen und gucken, welche Kabine im Duschhaus gerade frei war. Aber frieren musste man beim Warten nicht. – Am schönsten aber war, dass wir einige Freunde von der „Drachenperle“ noch an anderen Orten wiedergesehen haben. Wir werden unserer treuen Leserschaft berichten!

      Antworten
  2. Manfred Sommerfeld sagt:
    13. Juni 2019 um 10:31 Uhr

    Wieder so ein heiterer, lebensfroher Bericht, der mich wie immer mitreißt und der mich dann, wie Reinhard tausende Kilometer entfernt, nach einem Taschentuch suchen lässt. Länderübergreifendes Synchron-schnupfen, so zu sagen. Das Leben ist nun mal ein Takt, also bedingt Fröhlichkeit und Freude auch eine dunkle Seite. Weit weg von zu Hause wird man plötzlich an Dinge erinnert, die man bereits vergessen glaubte. Der Todesmarsch erinnert Reinhard an eine dunkle Seite in unserer Historie und berührt mich zwangsläufig. Ich habe mich vor vielen Jahren mit den so genannten Eutanasie-Verfahren beschäftigt. Das Ganze hieß damals : Programm lebensunwertes Leben, oder im Volksmund: Rassenhygiene, denen allein 5000 Kinder zum Opfer fielen. Und das alles fast vor unseren Füßen in Dortmund-Aplerbeck. Beim Studium der Akten habe ich sehr sehr häufig nach Taschentücher gesucht und der Firma, die Tempo-Tücher verteibt, zu Höchstumsätzen verholfen. Die detaillierten Geständnisse der Peiniger und Begriffe wie z.B. Erbgesundheitsgericht , werde ich nicht vergessen.
    Ich lenke mich derzeit ab, indem ich bundesweit recherchiere, ob es ungeklärte Mordserien mit folgenden Mermalen gibt: Tatzeit: nur Montags/ Opferprofil: weiblich, Taxifahrer//
    Täterprofil: offensichtlich mittellos, da ohne Gepäck unterwegs , vermutlich zu zweit/ Besonderheiten: vegane Raucher/ Aliasnamen: Dick und Dov (genaue Zuordnung nicht bekannt). Ergreifung und Rückführung zu gegebener Zeit erwünscht.

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      16. Juni 2019 um 18:02 Uhr

      Wenn du mal bei Facebook auf die „Jagd“ gehst, findest du die alten Begriffe wieder – bei den ewigen Dumpfbacken, die Merkel unterstellen, sie strebe in Deutschland eine „Umvolkung“ an. Was hättten die erst vor 120 Jahren gesagt, als die vielen Polen hier „einmarschierten“, um dann „auf Zeche“ zu gehen …
      So, so – und du suOchst jetzt Taxifahrerinnenmörderinnen! Haben sie dich aus der Rente, pardon: Pension zurückgeholt oder bist du jetzt Privatermittler? Deine Erfahrungen könnten wir dann ja gut für den nächsten Krimi nutzen. Und wenn du nicht freiwillig aussagst …

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Manfred Sommerfeld Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Seite durchsuchen

Neueste Beiträge

  • Ein Ende und ein Anfang 31. Dezember 2021
  • Singen am See – die Leiste tut weh 5. September 2021
  • Burg-Romantik 29. August 2021
  • Vorurteile verlernen 22. August 2021
  • Alte und neue Freundschaften 15. August 2021

Archiv

  • Dezember 2021 (1)
  • September 2021 (1)
  • August 2021 (5)
  • Juli 2021 (2)
  • Juni 2021 (1)
  • April 2021 (1)
  • März 2021 (2)
  • April 2020 (1)
  • März 2020 (1)
  • Dezember 2019 (1)
  • Oktober 2019 (6)
  • September 2019 (7)
  • August 2019 (5)
  • Juli 2019 (7)
  • Juni 2019 (11)
  • Mai 2019 (11)
  • April 2019 (14)
  • März 2019 (9)
  • Februar 2019 (4)
  • Januar 2019 (3)
  • November 2018 (1)
  • Oktober 2018 (3)

Kategorien

  • Allgemein
  • Ausrüstung
  • Couchsurfing
  • Essen
  • Freundschaften
  • Geld
  • Gesundheit
  • Länder
    • Borneo
    • Bulgarien
    • China
    • Indien
    • Iran
    • Jordanien
    • Myanmar
    • Serbien
    • Thailand
    • Türkei
    • Ungarn
  • Live Vorträge
  • Nach der Reise
  • Tiere
  • Vorbereitung
© 2025   Copyright by Christiane Bogenstahl & Reinhard Junge - All rights reserved
Cookie-Zustimmung verwalten
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt. Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Optionen verwalten Dienste verwalten Verwalten von {vendor_count}-Lieferanten Lese mehr über diese Zwecke
Einstellungen anzeigen
{title} {title} {title}