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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Orang Utan
Sepilok – haarige Begegnungen

Sepilok – haarige Begegnungen

20. Juni 2019 Christiane Bogenstahl Comments 6 comments
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Chrissie:

Von mancher Begegnung träumt man ein Leben lang. Bei mir sind es die Orang-Utans, die „Waldmenschen“, von denen ich träume.
Ich mag sie so gern. Ihre lieben, sanften Gesichter, die großen Augen, die roten Zotteln, auf die selbst ein Chewbacca neidisch werden kann.
Vielleicht mag ich sie auch, weil sie uns so ähnlich sind. Okay, dem einen mehr als dem anderen ;-)). Doch immerhin stimmen 96,5% ihrer Gene mit den unseren überein.
Die Chance auf eine echte Begegnung außerhalb irgendwelcher Zoos ist klein. Nur noch auf Sumatra und Borneo kann man ihnen in freier Wildbahn begegnen.Und darum sind wir hier. Nature Lodge, Sepilok, Borneo.  Bis zum Orang Utan Rehabilitation Centre sind es nur 1,1 km. Ich bin so aufgeregt wie vor 40 Jahren an Weihnachten. Da hatte ich mir mein erstes Fahrrad gewünscht. Das Warten auf die Bescherung am Abend war unerträglich lang.  Und so geht es mir jetzt wieder.
Obwohl wir erst um 03:30 Uhr morgens in unseren Betten liegen, schlage ich um 06:30 Uhr schon wieder die Augen auf.  Orang-Utans. Heute. Das ist mein erster Gedanke und ich bin schlagartig hellwach und kribbelig. So leise wie möglich krabbele ich aus dem Bett. Reinhard und Mary schlafen noch. Bei Reinhard mache ich mir keine Sorgen, dass ihn tapsende Füße, Rascheln und Klappern wecken könnten. Man könnte auch Marschmusik spielen oder seine Bettpfosten mit ner AK 47 durchsägen, ohne seinen Schlaf zu beeinträchtigen. Mary traue ich zwar ähnliches zu, wie sie so komatös auf ihrer Matratze ausgebreitet liegt. Aber ich will nichts riskieren.
Zwei Minuten brauche ich, um mich anzukleiden, dann gehe ich auf Expedition. Leider noch nicht zu meinen Affen, sondern nur, um die Umgebung unserer Unterkunft zu inspizieren. Der Tipp, hierher zu kommen, stammte von Emily. Bei Tageslicht kann ich nur anerkennend nicken. Gut ausgesucht, meine Liebe. Alles ist piccobello sauber und gepflegt. Ringsum um unsere Lodge ist es grün.

Nature Lodge
Die Vögel und Insekten summen, brummen, zwitschern und fiepen. Gegenüber unserer Lodge gibt es ein Lokal, in dem man essen kann. Bier gibt es da auch. Bestens. Ich schaue auf mein Handy. 07:00 Uhr. Ob es schon Frühstück gibt?
Ich habe Glück. Es wird gerade aufgetischt. Ich esse allein auf einer großen hölzernen Veranda, die Ventilatoren surren. Ich trinke Kaffee und noch einen, schaue wieder auf die Uhr.  07:45 Uhr.
Ob schon jemand wach ist? Fehlanzeige. Beide liegen wie festgefroren in den gleichen Positionen wie vor 75 Minuten. Wenn ich allein gehe, tötet Reinhard mich. So viel ist gewiss. Beim Suchen meiner Zahnbürste bin ich schon etwas weniger rücksichtsvoll in Bezug auf den Lärmpegel. Aber niemand zuckt.
Zähneputzen, zurückkommen, die Tür geräuschvoll schließen. Nope.
Ich seufze und schnappe mir mein iPad. Warten auf den Weihnachtsmann. Ich nutze die Zeit, um mich zu informieren.
Das Schutzzentrum existiert seit 1964. Außer einer Aufzuchtstation für Jungtiere gibt es ein Reservat für die bereits ausgewilderten Affenmenschen. Hauptsächlich kümmert man sich hier um verwaiste Orang Utans. Waldrodungen, illegale Jagd und Haustierhaltung sind die Ursachen dafür, dass es immer wieder mutterlose Babys und Jungtiere gibt. Der Mensch als Hauptfeind Nummer 1, wie so oft.
In unmittelbarer Nähe gibt es außerdem das Bornean Sunbears Conservation Centre. Der Sunbear ist bei uns als Malaibär bekannt. Es ist die kleinste Bärenart der Welt und vom Austerben bedroht. 20-60 kg wiegt ein ausgewachsenes Tier. Viele Asiaten schwören auf Bärenteile in obskuren Medizinen oder als Delikatesse in Suppen. Bärentatzensuppe – leider kein Scherz. In Sachen Essensperversionen übertrumpfen sich manche Asiaten gegenseitig, wobei die Europäer sich mit ihrer Gänsestopfleber und ihrem „wirtschaftlich notwendigem“ Kükenschreddern auch nicht mit Ruhm bekleckern.
Im BSBCC kümmert man sich darum, dass Tiere aus menschlicher Gefangenschaft befreit werden. Warum haben Menschen nur das Bedürfnis,Tiere in Käfige zu sperren? Allein und ohne Artgenossen. Ich könnte kotzen und klappe das iPad zu.  09:00 Uhr. Verdammt. Ich will nicht mehr warten.
Reinhard und Mary haben sich seit meiner letzten Inspektion immer noch keinen Millimeter bewegt. Bei Reinhard hilft Schütteln zuverlässig. Mary darf weiterschlummern.
5 Minuten später steht der Rentner draußen bei mir.
„Ich geh schon mal rüber zum Zentrum. Mal gucken, wie weit es ist und ob es bestimmte Uhrzeiten gibt für Besuche.“
„Aber du gehst nicht ohne mich rein, oder?“
„Nein, nur gucken.“
„Versprochen?“
(Mist!)
„Klar, was denkst du denn von mir? Spätestens um halb 11:00 Uhr bin ich wieder da.“Der Weg ist kein bisschen langweilig. Mandelbäume und Paradiesblütenbüsche am Straßenrand, meterhohe Farne.

Farn
Ich sehe, dass es direkt neben unserer Lodge einen Abzweig zum Rainforest Center gibt und mache eine innere Notiz.

Wegweiser
Und was gibt es hier für Vogelstimmen! Mir ist es jetzt schon zu warm für diese Uhrzeit, aber der Tierwelt scheint es zu gefallen.
Eine knappe halbe Stunde später bin ich angekommen. Mist, um 10:00 Uhr hätte man sich die erste von zwei Fütterungen der Orang Utans ansehen können. Die nächste ist erst um 15:00 Uhr. Aber nein! Nicht ohne Reinhard. Versprochen ist versprochen. Doch dann fällt mein Blick auf das Transparent für die Sunbears.

Sunbears
Davon hatten wir aber nicht gesprochen. Die Versuchung ist zu groß. Ich kaufe eine Karte und schreibe Reinhard über Threema an.
Threema
Zu Beginn gehe ich an einer Reihe Informationstafeln vorbei, in denen ich allerlei Wissenswertes über den Gründer Mr. Wong und über die Malaibären erfahre. Dann nähere mich der ersten von zwei Beobachtungsplattformen. Einige Eltern sind mit Kindern hier, und leider sind die, wie Kinder nunmal sind. Lebhaft und nicht unbedingt leise. Allzu nah wird sich hier kein Sunbear heranwagen. Aber im Zentrum kennt man das Problem. Ein großes Fernglas ist auf einen Bären ausgerichtet. Ich stelle mich an und nach nur drei Minuten darf ich durchschauen.

Sunbear
Da hängt tatsächlich einer am Baum. Leider guckt er nicht rüber. Ich mache einige Fotos und schaue mir die Tafeln an, die mittig auf der Plattform angebracht sind. Jeder einzelne Bär, der hier lebt, ist mit einem Foto und einer Beschreibung versehen. Das liest sich so ähnlich wie die Beschreibung der Charaktere in einer dramatischen Soap. „Das hier ist Sally. Sally wurde im Käfig nahe des Dorfes X gefunden. Dort lebte sie 7 Jahre in einem Käfig und war sehr aggressiv und verhaltensgestört. Seit 2018 lebt sie bei uns. Sie traf auf Artgenossen und lernte zu klettern. Heute ist ihr kein Baum zu hoch. Sie liebt abwechslungsreiches Essen und mag es gar nicht leiden, wenn sie bei dem Mahlzeiten gestört wird. Menschen gegenüber ist sie immer noch sehr scheu.“
Ich lese alle Geschichten und schaue mir die Fotos dazu an. Ich bin überrascht, denn tatsächlich sieht jeder Sunbear anders aus. Um den Hals herum haben sie ein weiß oder gelb gesprenkeltes Fell. Wie ein umgebundenes Tuch.

Jedes Gesicht und jedes Schicksal ist anders. Spannend. Dann gehe ich rüber zur zweiten Plattform. Dort stehen noch mehr Tafeln, aber auch eine Mitarbeiterin des Zentrums. Sie zeigt mit der Hand nach unten.
Oh, wie toll. Ein Bärchen. Und nah genug, dass meine Kamera trotz nur beschränkten Dreifachzooms ihn erkennbar ins Bild bekommt.

Sunbear
Die Bärenfreundin erklärt mir, dass es sich hier um Joe handelt. Wir unterhalten uns lange und beobachten den Kleinen. „Wir haben ihn bei einem Dorfbewohner gefunden.“ Bitteres Auflachen. „Angeblich hat er das mutterlose Tier erst kürzlich im Wald gefunden und wusste nicht, was er tun soll.“
Die Standardausrede, wie ich erfahre, denn das Jagen und Einsperren ist auf Borneo ein Verbrechen,  das sehr hoch bestraft wird. „Er kann noch nicht klettern“, erzählt sie weiter. „Die Sunbears können das nicht von Natur aus. Deshalb ist es wichtig, dass sie auf Artgenossen treffen, die es ihnen beibringen.“
Ich sehe noch einige weitere Bären, die an Bäumen klettern. Erst als Regen einsetzt, verschwinden sie aus meinem Blickfeld. Als auch Joe sich vom Acker macht und Schutz sucht, fällt mir ein, dass ich mal auf die Uhr gucken könnte.
Keine Minuten zu früh. In jeder Hinsicht. Es ist 13:25 Uhr und der Regen wird heftiger. Die Sepilok Kafeteria lockt.
Ich treffe zeitgleich mit Reinhard ein. „Hi, wo hast du Mary gelassen?“
„Die schläft noch.“
„Wow.“
Wir tauschen uns aus, trinken Kaffee und um 14:00 Uhr stehen wir am Ticketschalter. Endlich! Gleich kann ich sie sehen. Meine Orang Utans.

Orang Utan Schutzzentrum
Es pladdert noch, aber das stört mich nicht. Von einem Mann in Uniformweste erfahren wir, dass die offene Futterplattform erst in einer halben Stunde geöffnet wird. Aber in der Nursery, der geschlossenen Aufzuchtstation, könne man jetzt schon zusehen. Die letzten Meter trabe ich fast und dränge Reinhard zu schnelleren Schritten.
Reinhard im Fegen
Auf dem Holzweg. 😉
Dann stehen wir vor einem hellen Gebäude. Da rein?
Ein Vorraum mit einigen spärlichen Informationstafeln und Postern, die für Orang-Utan-Adoptionen werben. Ein winziger Shop, in dem man Schlüsselanhänger, Buttons und ähnlichen Klimbim kaufen kann. Und ein babylonisches Stimmengewirr, gegen das kein Prediger ankäme. Ich ahne, das mir das nicht gefallen wird. Aber die Realität enttäuscht mich noch mehr.
Während der Regen sich draußen weiter verstärkt, stehen wir in einem überklimatisierten Raum mit Sitzreihen vor einer massiven Glaswand.

Menschen im Glaskäfig
Was sich unseren Augen darbietet, wirkt wie ein Abenteuerspielplatz. Aber die Kinder, die hier innen toben und schreien, haben keinen Zugang.
Kinder
Das ist die Futterplattform der Aufzuchtstation. Schon kommt ein Angestellter mit mehreren Eimern und schüttet Salatblätter, Bananen und exotischere Früchte auf das Holz über ihm. Was für eine Enttäuschung! Das soll es gewesen sein? Die berühmte Sepilok-Orang-Utan-Station?

Tierpfleger
Die ersten kleineren Affen lassen sich blicken. Silbergraues Fell. Lustlos knipse ich ein paar Fotos, mache ein kleines Filmchen. Dann erscheint der erste Orang-Utan, dann noch einer und noch ein kleinerer. Sie schälen Bananen, hangeln sich an den Seilen von Plattform 1 zu Plattform 2, mampfen grüne Stengel, beißen alle Obststücke einmal an, um sich dann der nächsten Frucht zuzuwenden.

Hungriger Orang Utan
Alles wirkt wie in einem Zoo. Der Unterschied hier ist aktuell nur, dass die Menschen im Glaskäfig sitzen.  Zoos kann ich nicht leiden. Auch wenn ich weiß, warum die Tiere hier im Schutzzentrum sind und wie wichtig die Arbeit für den Fortbestand ist.  Ich bin so enttäuscht, als hätten meine Eltern damals vor dem Weihnachtsbaum statt eines Fahrrads einen wackeligen, billigen kleinen Tretroller aus Holz gestellt.

Reinhard sitzt in Reihe 3 vor dem Glas und wirkt genervt. Ich kann es ihm nicht verdenken. Er dachte, er sei dem Schullärm für immer entflohen. Mary-Eve taucht auf. Sie sieht immer noch verschlafen aus. Hebt die Hand zum Gruß und setzt sich in Reinhards Nähe. Zwanzig Minuten später gehen wir gemeinsam raus und wandern über den Holzweg. Immer noch Regen. Innerhalb von Sekunden sind wir nass.
Die Open Air Futterplattform ist in einem Bereich angebracht, der von den Orang-Utans und Affen besucht wird, die die Aufzuchtstation schon verlassen haben. Ihre Kost ist langweiliger. Hauptsächlich Bananen. Sie sollen auf diese Art ermutigt werden, sich eigenständig Futter im Dschungel zu besorgen. So das Konzept. Keine Tiere zu sehen, heißt es, ist ein gutes Zeichen.
Und sie kommen. Ähnliches Schauspiel wie zuvor. Nur feuchter. Leiser hingegen nicht. Die Kinder und ihre Eltern sind nämlich auch eingetroffen. Dass den Orang Utans das nicht auf den Magen schlägt, wundert mich.

Gibbon
Hier hat sich ein Gibbon vorgedrängelt

Schade, denke ich. Das ist nett, aber mehr nicht. Wo ist das echte Wildlife? Warum raschelt es nicht über unseren Köpfen? Außerdem ärgere ich mich über mich und meine Kamera. Warum habe ich einen Apparat gekauft, der nur einen dreifachen optischen Zoom hat?
Nach einigen Minuten drehen wir um. Nochmal zur Aufzuchtstation. Vielleicht ist es da jetzt ruhiger. Ich bleibe abrupt stehen. Auf dem Plankenweg kommt uns ein Orang-Utan mit einem Betreuer entgegen. Ganz nah. Er nimmt Kurs auf die Nursery. Cool!

Orang Utan
Zur richtigen Zeit abgedrückt

Die kurze Begegnung stimmt mich versöhnlich. Aber wir alle haben nun das Bedürfnis, bei einem heißen Kaffee im Trockenen zu sitzen. „Man kann ja morgen nochmal gucken gehen“, schlägt Reinhard vor. Und das tun wir auch.
Am nächsten Tag treffen auch Jack und Emily ein, die wir freudig begrüßen und briefen. Heute sieht unsere Strategie nämlich anders aus. Antizyklisch. Während die meisten Menschen bei den Futterplattformen stehen, wandern wir über die Holzwege. Lauschen ins Grün links und rechts. Und endlich sehe ich, was ich mir gewünscht habe. Orangs in der freien Natur. Ich strahle, als ich weit oben in den Wipfeln die Silhouette eines der langarmigen Wesen entdecke, das Blätter abreißt. Nestbau. Das machen Orang-Utan täglich mit frischem Grün, auf dem sie sich dann ausruhen. Manchmal verankern sie auch große Blätter über ihren Köpfen, um sich vor Regen zu schützen.  Wir eichen unsere Ohren auf knackendes Geäst. Es funktioniert. An verschiedenen Stellen sehen wir das Orange zwischen den Bäumen blitzen. Einmal hangelt sich eines der Tiere direkt über unseren Köpfen über den Holzweg.

Hangelnder Orang
Mein Grinsen wird immer breiter. Und als wir in Richtung der Nursery wandern, haben wir wieder Glück. Und was für eines. Eine Orang Utan Mama mit Baby auf dem Rücken.

Orang Utan Mama mit Baby
So etwas Schönes. Reinhard merkt, was in mir vorgeht und legt seinen Arm um mich. „Siehst du …“ Er muss den Satz nicht beenden. „Ja“, antworte ich und lehne mich an ihn.
Jetzt ist es also passiert. Mein Orang-Utan Fieber ist geweckt. Wir verlängern unseren Aufenthalt in der Nature Lodge um zwei weitere Nächte.
Gute Entscheidung. Reinhard freut sich, weil er nicht schon wieder packen muss. „Jetzt kann ich endlich mal in Ruhe schreiben.“
Meine Freude ist größer. „Und ich kann mir das Rainforest Discovery Center ansehen.“
Bestens. Man muss nicht immer das Gleiche wollen, um gemeinsam zu reisen und glücklich zu sein.
Früh um 09:00 Uhr mache ich mich am nächsten Tag auf den Weg. Mary hat auch heute einen gesegneten Schlaf. Jack und Emily sind im Orang Utan Center. Reinhard reduziert die Kaffeevorräte der Nature Lodge. Nach den vielen Wochen auf Reise genieße ich das zeitweilige Alleinsein. Mein Tempo, meine Atempausen, meine Gedanken. Ich und die Natur. Heute sind wir gute Freunde. Der Himmel ist zwar etwas bewölkt, aber die Sonne gewinnt. Aber im Discovery Center bin ich erstmal überfordert.

Rainforest Discovery Center
Es gibt hier mehrere Wegweiser. Einen großen Garten, einen Teich, Lernpfade und einen Canopy, einen Höhenweg in 10 m Abstand zum Boden. Da mir viele der Schildernamen nichts sagen, wähle ich den Canopy. Es ist kaum was los. Die Metallkonstruktion, auf der ich laufe, klappert nur selten von anderen Schuhen als meinen.

Canopy
Weg durch die Bäume

Und ich bemühe mich leise zu gehen. Alle paar Meter weisen Schilder mich darauf hin, welche Vögel ich hier entdecken könnte. Blue-eared Kingfischer, black Hornbill, Lesser green leafbird, scarlet-rumped trogon und andere klingende Namen haben sie.
Ich höre sie alle. Zumindest fühlt es sich so an. Noch nie habe ich so viele verschiedene Vogelstimmen gleichzeitig gehört. In Zeitlupe bewege ich mich hoch oben zwischen den Baumwipfeln und inspiziere Äste und Blattwerk. Aber ich sehe nichts, nicht einen Vogel. Trotzdem ist es wunderbar, hier zu stehen, die satte Waldluft zu atmen.

Einige schöne Fotos der hier lebenden Vögel habe ich später auf der folgenden Webseite gefunden. Da hatte entweder jemand bessere Augen als ich oder einen fetten Zoom in der Kamera 😉
https://www.hbw.com/ibc/geo/sandakan-rainforest-discovery-centre
Eine dreiviertel Stunde brauche ich in diesem Gänsefüßchenmarsch, bis ich das Ende des Höhenwegs erreicht habe. Langsam schlendere ich zurück. Da höre ich das erste vertraute Knacken im Geäst. Und dann sehe ich einen Waldmenschen in den Bäumen. Was auch immer ich im SORC erwartet habe – jetzt und hier ist es da. Das große Gefühl. Lange Arme greifen nach oben, knicken Äste. Da! Ein zweiter Orang-Utan klettert den Baumstamm herauf. Und keine lauten Stimmen verschrecken und verscheuchen die beiden.
Armer Reinhard, du verpasst etwas, denke ich. Aber das ist auch alles, was ich denke. Erst Minuten später denke ich daran, Fotos zu machen.

Orang Utan mit Frucht
Es ist, als ob eine Tür zu einer Parallelwelt geöffnet wurde. Ich schleiche mehrere Male über den Metallweg, entdecke immer mehr rotzottelige Tiere. Attenbourough, Grzimek, Goodall, Fossey – ich verstehe eure Motivation. Und gerade jetzt fühlt es sich an, als sei ich eine von Ihnen.
Das hier, das weiß ich jetzt schon, wird eines meiner Reisehighlights bleiben. Egal, was noch kommt. Und es kommt tatsächlich noch was. Unerwartet. Haarig. Strubbelfrisur.
Mir bleibt fast das Herz stehen, als ich ein Geräusch höre, das nur eines bedeutet kann. Etwas … nein: Jemand ist auf die Metallplanken gesprungen.
Ich halte die Luft an. Ein Orang-Utan, ein kleines Kind, guckt mich mit großen Augen an, als würde es sich fragen, warum der komische Affe vor ihm so wenig Fell hat. Vorsichtig hebe ich die Kamera und nehme auf.

Affenkind
Das Kleine bewegt sich auf mich zu, stoppt und dreht mir dann den Rücken zu. Frei nach dem Motto: Wenn ich dich nicht sehen kann, siehst du mich auch nicht. Meine Güte, wie süß ist das denn? Plötzlich scheint es vor der eigenen Courage Angst zu haben. Läuft zurück, dann wieder vor. Das Spiel geht minutenlang, ich muss kichern, weil der kleine Nachwuchskletterer dabei so drollig guckt.
Aber die Vorstellung wird noch besser. Jetzt klettert der kleine Orang Utan aufs Geländer. Dort ist eine laminierte Info zu einem Vogel angeklebt. Das Bild scheint zu gefallen. Mit beiden Händen zerrt das Kind an dem Plastik. Ratsch. Eine Ecke ist ab. Ich unterdrücke ein Lachen, das von einem Ort kommt, den ich lange nicht besucht habe.
Das Kleine gibt alles. Zähne, Hände, Füße. Rrraatsch. Das Vogelbild gehört nun ihm. Mein Brustkorb bebt, aber ich beiße mir auf die Lippen, will den Orang Utan nicht verschrecken. Den Moment genießen, solange es geht.  Keine einfache Aufgabe, denn nun spielt das Äffchen mit der Folie. Spielt Verstecken, benutzt es als Decke, wälzt sich über den Metallboden. Mir laufen die Tränen runter. Unbezahlbar. Dann höre ich polternde Schritte nahen. Und nicht nur ich. Das Kleine hält inne. Von hinten nähert sich ein älteres Paar, er groß und breit wie ein Gorilla. Das ist zu viel des Guten für meinen kleinen Freund. Das laminierte Vogelbild bleibt liegen. Und der Süße flüchtet um die Ecke.
Ich folge vorsichtig. Sehe ihn an einer Plattform zurück in die Bäume klettern. Schade. Das Pärchen kriegt nichts mit. Überholt mich. Als sie nicht mehr in Sichtweite sind, hebe ich das Bild auf und gehe zu der Stelle, an der das Kleine verschwunden ist; klemme die Folie mit dem Vogelbild nach außen zwischen die Gitterstäbe. Lächle, nein strahle vor Glück. So wie vor vierzig Jahren, als das rote Fahrrad im Kerzenlicht funkelte.
Das Rad wurde übrigens ein Jahr später geklaut. Aber das hier – das hier kann mir keiner mehr nehmen.

Sunbears und Orang Utans – Mein Videozusammenschnitt

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6 thoughts on “Sepilok – haarige Begegnungen”

  1. Manfred Sommerfeld sagt:
    24. Juni 2019 um 8:27 Uhr

    Eigentlich wollte ich mich dieser Geschichte von der satirischen Seite nähern, wollte mich als Anwalt einer Spezies darstellen, die sich nicht erst seit dem „Planet der Affen(Revolution)“ verunglimpft fühlt und hinterfragen, wer eigentlich wessen Verhalten studiert?
    Aber, es geht nicht. In dem Bericht steckt so viel „Herzblut“, so viel Gefühl, womit sich jede Interpretation, auch die Lustigste, verbietet. Von daher: toller Bericht, der sicherlich auch Jane Goodall angerührt hätte.
    Ach ja, damit die Geschichte wirklich „rund“ wird, steht Chrissis nächstes Weihnachts-geschenk auch schon fest.
    Ein rotes Fahrrad!

    Antworten
    1. Christiane Bogenstahl sagt:
      24. Juni 2019 um 15:38 Uhr

      Lieber Manfred,
      ich weiß gar nicht, was mich mehr gefreut hätte. Dein Kommentar ist sowas von lieb. Da fühle ich mich, als hätte ich ein paar palmölfreie Löffel veganer Schokocreme naschen können. 😉
      Auf der anderen Seite liebe ich deine satirischen Beiträge, so dass ich jetzt gleichzeitig eine gewisse Enttäuschung verspüre, dass mir dieses feinsinnige glossenhafte Bonbon verwehrt bleibt. Ich lade dich hiermit also ein, die Anwaltschaft der Orangs zu übernehmen 🙃

      Antworten
  2. Gitte und Peter sagt:
    22. Juni 2019 um 16:17 Uhr

    Die Begegnung mit den Orang-Utans hört sich ja richtig spannend an. Ich hätte total Schiss bekommen und wäre sofort umgekehrt. Uns hat einmal ein kleiner Affe auf Bali attackiert, aber Peter, mein monkey fighter, hat die Schokolade wieder zurückerobert.
    Wir wünschen euch aus Leipzig weiterhin eine tolle Zeit und schicken euch ganz sonnige Grüße.

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      23. Juni 2019 um 18:46 Uhr

      „Monkey Fighter“ hört sich gut an. Können wir nächste Woche im Norden Thailands gebrauchen. Leihst du uns Peter für ein paar Tage aus, Gitte? 😉

      Antworten
  3. Bodo und Heidi sagt:
    21. Juni 2019 um 12:07 Uhr

    Ein einzigartiges Erlebnis – diese Live- Begegnung mit dem kleinen Orang Utan! Dieser Reisebericht und das Video sind unser absolutes Highlight, zu schön, um wahr zu sein!
    Unser erster Gedanke beim Lesen: „Das wäre auch unser Traum, so etwas zu erleben!“ Aber alle Wünsche im Leben können nicht in Erfüllung gehen!
    Umso mehr freuen wir uns, dass sich Dein Traum, liebe Christiane, erfüllt hat!
    Vielen Dank für die wunderschönen Naturaufnahmen und dafür, dass wir dabei sein dürfen!
    Euch beiden eine gute Weiterreise, viel Freude und interessante Begegnungen!
    Sonnige Grüße aus der Heimat!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      23. Juni 2019 um 18:57 Uhr

      Danke für die sonnigen Grüße! Ich befürchte nur, dass es dadurch hier jetzt noch heißer wird. Kaum zu glauben, aber heute Mittag habe ich mich nach einem erfrischenden 19-Grad-Bad in der Nordsee gesehnt! 😉 Haltet durch!

      Antworten

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