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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt
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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Thanaka
Myanmar – gelbe Schminke, rote Zähne, blauer Fuß

Myanmar – gelbe Schminke, rote Zähne, blauer Fuß

31. Juli 2019 chbo-admin Comments 12 comments
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Chrissie
„Wie sehen die denn aus?“, rutscht es Reinhard raus. Wir befinden uns auf der nächtlichen Busfahrt nach Yangon und machen eine Rast. Es ist eine der typischen Fresshallen, die wir in Asien schon so oft gesehen haben. Dazu gehören stets die folgenden Elemente: Staubige Straßen, nach Diesel stinkende Busse, endlos viele Plastikstühle und Reihen von  Essenstheken, deren fleischige Pampen in der Hitze dem natürlichen Zerfall ausgesetzt sind.
Doch heute fallen uns gleich drei Dinge auf, die anders sind als sonst.
Erstens:  Männer wie Frauen tragen Röcke. Eigentlich sind es Stoffschläuche. Knöchellang. Longyi werden sie genannt, wie wir später erfahren.
Die Männer tragen kleinkarierte Exemplare. Diese binden sie so, dass sie von rechts und links nach innen gefaltet werden. In der Mitte am Hosenbund wird der überschüssige Stoff nach außen zu einem einfachen Knoten geschlagen.
Mann im traditionellen Longyi
Mann im traditionellen Longyi

Die Damen tragen ihre Longyis figurbetont in allerlei schönen Designs und Farben. Anders als bei den Männern wird der Rock gewickelt und an der Seite eingeschlagen.

Frauen im traditionellem Longyi
Frauen im traditionellem Longyi
Meinte Reinhard das mit seinem Ausruf?
Mitnichten!
Es geht um die Gesichter, in die wir blicken. Ich bin sofort fasziniert. Fast alle Menschen an dieser Raststätte haben irgendeine gelbe Farbe im Gesicht.
„Meinst du, das sind Gesichtsmasken?“, flüstre ich Reinhard zu. Warum ich leise spreche weiß ich nicht, denn so viel ist klar: Wir sind die einzigen Deutschen weit und breit.
„Vielleicht ne Salbe“, mutmaßt Reinhard, während er sich bereits die zweite Kippe seit dem Ausstieg anzündet.

Wir betrachten das Ganze eingehender. Die einen tragen runde gelbe Apfelbäckchen, die anderen Vierecke auf den Wangen oder einen Punkt auf der Nase. Einige wenige haben sich Ornamente, Spiralen oder Streifen so kunstvoll ins Gesicht gemalt, als wären sie mit Hilfe von Schablonen aufgetragen worden. Selbst die Kinder, die zwischen den Beinen der Großen umherhuschen, haben gelbe Gesichter.

Ich spreche mutig einen der Männer an und deute auf die Bemalung. Leider verstehe ich ihn kaum. „Make-up“, sagt er. „Thanaka“.
Mein Gesicht verrät wohl Unglaube. Er bedeutet mir, mitzukommen und führt mich zu einer offenen Reihe Waschbecken, an denen sich einige Leute bereits die Zähne putzen. Das ist nämlich auch so eine Besonderheit. Zahnbürste und Zahnpasta bekommt man oft gratis in den Bussen ausgegeben. Der junge Mann verschwindet und kehrt mit einer Dose zurück.
Als ich den Inhalt sehe, muss ich eher an den „Bäcker-Blitz“ denken – eine Putzpaste, auf die meine Freundin Uschi schwört. Zum Glück riecht das gelbe Zeug besser.
Mein freundlicher Demonstrator zeigt mir, wie es geht. Etwas Wasser auf die harte Paste, mit den Fingern verrühren, auftragen. Zack, schon bin ich mittendrin. Gelb steht mir nicht, aber die Frauen an den Nachbarwaschbecken lächeln mich freundlich an. Ich sehe so doof aus, dass ich lachen muss.
Der junge Mann lacht mit und ich erschrecke. Mit dem Gebiss kann er direkt zum Casting für eine neue Staffel „The walking dead“ antreten. Schwarz rote Zähne klaffen aus dem Mund.
Igitt. Ich beeile mich, zu Reinhard zurückzukehren.
Weder das Geheimnis um die Kriegsbemalung noch um die Männermünder mit dem schwarzvergorenen Blut lösen wir an diesem Abend.
Erst später, nach unserer Ankunft in Yangon, erklärt es uns jemand.
Die gelbe Farbe – eine skurrile neue Mode, ähnlich den „Weißmachern“, für die fast überall in Thailand und auch in Myanmar geworben wird?
Ganz im Gegenteil. Es ist eine sehr alte und nützliche Tradition. Seit über 2000 Jahren verwenden die Menschen dieser Gegend ihr Thanaka. Die Zutaten sind denkbar einfach. Baum und Wasser. Natürlich nicht irgendein Baum. Es muss schon ein Thanaka-Baum sein. Zur Herstellung braucht man ein Stück Ast, einen Schleifstein und Wasser. Rinde und Mark des Astes werden mit etwas Wasser auf dem Stein zerrieben. Dabei entsteht die Paste, die von Natur aus einen feinen Duft ausströmt. Die Einheimischen sind davon überzeugt, dass Thanaka der Grund ist, warum kaum ein Burmese an Hautkrankheiten leidet.
Thanaka ist Schminke, Pflegemittel, Sonnenschutz und Medizin in einem. Die Kinder werden häufig großflächig eingerieben. Und tatsächlich – auch mehr als drei Wochen später haben wir noch nicht ein burmesisches Gesicht mit Pickeln oder unschöner Haut gesehen. Grund genug, dass ich eine Dose kaufe.
Nicht unangenehm, stelle ich fest. Die Paste kühlt und die Haut fettet nicht nach. Wenn gelb an mir doch bloß nicht so leberkrank aussähe.
Wie das Thanaka hergestellt wird, zeigt uns Tage später Kyi, eine großartige Frau, mit der wir in Pyay Freundschaft geschlossen haben. Aber dazu mehr in einem anderen Artikel. Nur das Video darf ich euch jetzt schon zeigen 🙂

Ekelhaft! Das umfasst mit einem Wort eine weitere Tradition der Burmesen. Hauptsächlich die der Männer. Wo man hinschaut und hintritt – Straßenpflaster und Asphalt sind mit großen roten Flecken übersät. So stelle ich mir das vor, wenn 100 Menschen aus der Zahnarztpraxis kommen, nachdem man ihnen einen Zahn gezogen hat. (Ich hatte ja erst kurz vor unserer Abreise noch das Vergnügen, das ihr euch auch nicht entgehen lassen solltet —> https://www.rucksackundrentner.de/2019/02/22/ab-heute-keine-dicken-backen-mehr/ )
Rote, feuchte Flatschen mit ausgefransten Rändern, wohin man blickt.
Aber hieran sind keine Zahnärzte schuld. Die verzweifeln eher daran. Wir reden nämlich von der Betelnuss. Überall kann man sie kaufen und sie kostet fast nichts. Man nehme ein Betelblatt, bestreiche dieses mit einer Löschkalk-Paste. Darauf kommen die getrockneten und klein gehackten Nusstücke.  Als Aroma werden wahlweise Kräuter, Kardamonsamen oder Zimt hinzugefügt. Manchmal sogar Tabasco. Das Ganze wird dann zu einem Päckchen gewickelt und gefaltet.
Betelnusspäckchen
Frische Betelnusspäckchen

Ja und dann? Dann kaut man den ganzen Tag darauf herum. Ähnlich wie beim Tabak wird man süchtig. Aber die Betelnuss kann noch viel mehr. Sie macht wach und soll leicht euphorisierend wirken. Klingt nicht übel. Aber leider regt sie den Speichelfluss derart an, dass jedes Lama neidisch wäre. Nicht mal die Chinesen, Meister in der Disziplin des Rotzens, können da mithalten. Im Minutentakt spucken die Burmesen einen Schwall dickflüssigen Speichels auf den Boden, aus den Fenstern, aus dem Bus – und natürlich aus den unappetitlichen Mündern.

Wie ein Krebsgeschwür frisst sich die Betelnuss im Laufe der Zeit durch Zähne und Zahnfleisch. Schon Mitzwanziger wirken darum wie Protagonisten aus Horrorfilmen.
Gruselig. Abstoßend. Und irgendwie widersprüchlich: Drogen sind in Myanmar streng verboten. Aber dieses Aufputschmittel wird überall verkauft, obwohl es süchtig macht, krebserregend sein soll und sicher die Geburtenraten schrumpfen lässt. Denn wer will solche Münder küssen? Und die größte Frage bleibt weiterhin unbeantwortet: Warum nicht einfach stattdessen einen schönen Kaffee?
Reinhard
Für uns fallen die beiden ersten Tage in der größten Stadt des Landes unter das Thema „Verlustbewältigung“: Chrissie braucht eine neue Regenjacke und eine neue Powerbank, um unterwegs auch ohne Steckdose das iPad oder Mobiltelefon aufladen zu können. Sie ist sicher, dass dieses Teil in der blauen Jacke steckte, die durch meine Schuld im Bus liegen geblieben ist. Sie hat das Strafmaß noch nicht verkündet, aber sie brütet etwas aus. Bis  Weihnachten kein Taschengeld wäre die Mindeststrafe für die Jacke, aber wegen der Powerbank legt sie bestimmt noch einen Monat Bundesligaverbot oben drauf.
Also grasen wir eine gewaltige Mall  und mehrere Bekleidungsläden ab. Es gibt sogar zwei Outdoorshops. Wir finden dort auch die eine oder andere Regenjacke – aber alle entweder aus Plastik oder nur in Herrengröße XL. Wie kann es sein, dass es in der Hauptstadt des Tropenregens keine Regenjacken für Frauen gibt?
Eine mögliche Erklärung bahnt sich bei unseren Streifzügen durch die Stadt an. Erstens teste ich meine eigene Regenjacke – und schwitze angesichts der anhaltenden Hitze binnen fünf Minuten darunter so sehr, dass ich meinen eigenen Schweiß nicht mehr ertragen kann. Leute, die einem amerikanischen Stinktier zum Opfer gefallen sind, können nicht übler duften..
Zweitens fällt uns auf, dass fast alle Frauen und erstaunlich viele Männer als Waffe gegen die Nässe nur einen normalen Regenschirm mit sich herumschleppen. Schlussfolgerung: Hier fragt kein einheimischer Mensch nach einer Regenjacke – und für zwei vergessliche Touristen pro Jahr lohnt es nicht, welche auf Vorrat zu bestellen.
Also kauft Chrissie sich einen wunderschönen rotkarierten Schirm. Ein paar Minuten schwanke ich, ob ich mir auch einen leisten soll, dann verzichte ich. Da ich meist die Rolle eines Packesels spiele, habe ich auf den oft holprigen Bürgersteigen lieber beide Hände frei.
Der Regenschirm ersetzt aber nicht die verschwundene Powerbank. Die Suchaktionen gehen weiter. Obwohl in der Mall auf einer Etage sämtliche Elektronikfirmen der Welt vertreten sind, gibt es nur wenige Verkäufer/innen, die mit dem Begriff „Powerbank“ etwas anfangen können. Einige Läden haben ein paar No-Name-Produkte auf Lager, für die das Internet aber keine brauchbare Testergebnisse liefern kann.
Irgendwann schlägt Chrissie trotzdem zu und wird wie erwartet enttäuscht. Bei trotz angeblich gleicher Leistung wie bei dem verschwundenen Anker-Gerät: Das Teil lädt so langsam, dass man sich das Ladekabel besser in die Poritze schieben sollte. Das iPad entlädt schneller, als dass es Energie dazugewinnt, und die Aufladung der Powerbank dauert dreimal so lange. Sätze wie diese höre ich mehrmals am Tag – nein, natürlich nicht als Vorwurf, sondern rein informativ. 🙄
Fast zwei vertane Tage für Neubeschaffungen – und die indische Botschaft kostet uns zwei weitere Übernachtungen.
Indisches Konsulat
Weil wir beim Ausfüllen einen Fehler gemacht haben. Sollte jemand dies lesen, der oder die dasselbe vorhat wie wir: Chrissie hat eine idiotensichere Anleitung geschrieben, wie man es richtig macht. Siehe hier:
How to get Indian visa in Myanmar
Für die Bearbeitung unserer Visaanträge braucht man fünf Werktage – dazwischen liegt natürlich ein Wochenende.
So widmen wir uns den angenehmeren Seiten des Lebens. Chrissie möchte unbedingt die 2500 Jahre alte Shwedagon-Pagode besuchen. Sie ist die größte und bekannteste Pagode der Stadt und gleichzeitig Wahrzeichen des Landes. Sie liegt auf einem Hügel etwas außerhalb der City und der mit 60 Tonnen Gold überzogene Turm ist von fast überall zu sehen. Seine Spitze ist mit einem 76-Karat-Diamanten verziert. Zusätzlich zu den insgesamt 172 Karat an Rubinen, Saphiren und anderen Edelsteinen. Soll niemand sagen, dass die 8 Haare Buddhas, die in einer Schatulle innerhalb des Stupas lagern, keine hübsche Verpackung hätten ..
Knapp drei Kilometer Fußweg können uns nicht schrecken. Zumal eine App uns verrät, dass unterwegs, gerade mal 50 Meter von der Strecke entfernt, ein hoch gelobter Schnapsladen liegt …
Die Bude ist nicht groß, aber das Angebot überwältigend. Mindestens 20 Wodkasorten, edle Weine und diverse Schnäpse – sogar der Jägermeister hat sein Revier bis Asien ausgedehnt.
Schließlich wählen wir echten kubanischen Rum und nehmen als Wegzehrung noch zwei Dosen „Heineken“ mit, die uns auf dem Weg zur Pagode enorm weiterhelfen – diese Reise macht mich noch zum Biertrinker. Die Sache mit dem Alk wird sowieso bald lustig …
Eine breite Straße führt bergauf genau auf die Shwedagon-Pagode zu. Ein imposantes Bild, das mit jedem Schritt weiter in die Höhe wächst.
Kurz vorher entdecken wir aber auf der linken Straßenseite eine Art Mausoleum. Auf den Pfeilern des Portals prangen auch eine Friedenstaube sowie Hammer und Sichel. Kommt mir angesichts der politischen Verhältnisse wie aus der Zeit gefallen vor.
Wir gehen rein. Eine alte Frau sitzt einsam an einem Informationstisch und mustert uns aufmerksam. Sie bewacht ein Grabmal, das die ganze Halle dominiert. An den Wänden hängen ringsum verblasste Kopien von Zeitungsartikeln – hier ist schon lange nichts mehr erneuert oder gar modernisiert worden. Wieso?
Einer Informationsschrift in englischer Sprache entnehme ich, dass hier Thakin Kodaw Hmaing (1876-1964) begraben ist, ein berühmter burmesischer Dichter, Anführer im Befreiungskrieg gegen England und Friedensstifter nach einem heftigen Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Bürgerlichen. (Wie mir später Wikipedia verrät: In den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde Thakin in Ost und West hoch geehrt.)
Ich zeige auf sein Bild und auf das Hammer-und-Sichel-Symbol und frage: „Kommunist?“ Die Dame lächelt.
Kurz darauf stehen wir vor der Pagode und sind von der Größe und der goldenen Pracht fast erschlagen. Barfuß, wie die Vorschrift es verlangt, klettern wir zum Eingangsportal hinauf. Eine riesige Halle mit Devotionalienshops, vor denen die Verkäufer auf dem Boden sitzend ihre Waren feilbieten. Dann eine Treppe, eine weitere Halle mit religiösen Artefakten, noch eine Treppe. Am Ende stehen einige Securityleute, zeigen auf ein Regal, in dem wir unsere Schuhe deponieren können, dann auf meinen Rucksack und eine alte Bekannte von Dutzenden Grenzkontrollen: die Röntgenmaschine. Nun gut.
Kaum taucht mein Gepäck am anderen Ende des Förderbands wieder auf, greift sich einer der Terroristenjäger den Rucksack, öffnet, ohne erst um Erlaubnis zu fragen, einen Reißverschluss nach dem anderen. Dann zieht er die Flasche mit dem Rum heraus. Sein Gesicht bleibt fast unbewegt, aber ich vermeine, ein leichtes Kopfschütteln wahrzunehmen. Diese europäischen Barbaren …
Bevor ich protestieren kann, stellt er die Flasche „Havanna Club“ in ein besonderes Regal und drückt mir den Rucksack wieder in die Hand. Bei einer Flughafenkontrolle wäre das kostbare Getränk – mindestens bis zum nächsten Betriebsfest – in die Obhut des Staates übergegangen. Aber der Religionswächter macht mir mit Gesten deutlich, dass ich die Flasche auf dem Rückweg wieder mitnehmen kann. Erleichterung – im Rucksack und bei zwei geplagten Seelen.
Eine weitere Treppe höher und wir stehen endlich vor dem riesigen vergoldeten Turm.
Shwedagon PagodeChrissie verfällt in einen wahren Fotografierrausch, ich sehe das etwas emotionsloser. Wie bei den Katholischen und den Muslimen, denke ich: Je ärmer das Volk, desto prächtiger die Kirchen.
Auf dem Rundgang um das ausladende Hauptbauwerk begleitet uns das zarte Geläut von mehreren tausend Glöckchen. Wir treffen trotz des regnerischen Wetters viele Touristen und eine nicht mindere Zahl von gläubigen Buddhisten. Viele von ihnen sind zu einem stillen Gebet gekommen, andere bringen Opfergaben mit.
Shwedagon Pagode
Shwedagon Pagode
Shwedagon Pagode
Shwedagon Pagode
Shwedagon Pagode
Shwedagon Pagode
Shwedagon bei Nacht
Shwedagon bei Nacht
Blumengaben für Buddha
Auffällig sind jene Leute, die die kleinen Buddhafiguren vor dem Zentralbau mit Geschenken versorgen. Andere reinigen die Köpfe, indem sie behutsam frisches Wasser über ihnen ausgießen – sie zu berühren, ist nicht nur im religiösen Bereich verboten. Wenn Touristen entzückt einem süßen oder aufgeweckten Kind über den Kopf streichen möchten – Finger weg! Der Kopf ist heilig.
Die Buddhafiguren zu Füßen des großen Turms sind übrigens einzelnen Wochentagen zugeordnet – jede/r Gläubige verehrt vor allem denjenigen Buddha, der dem Tag seiner Geburt zugeordnet ist. Chrissie und ich wären für den Dienstag-Buddha zuständig. Aber der wird zum Glück gerade schon bedacht.
Unser Besuch der Pagode wird von bald einsetzenden heftigen Regengüssen gestört.
Shwedagon Pagode
Dancing in the rain. Hier mit dem neuen Regenschirm

Wir brechen ab, wobei ich Chrissie versprechen muss, dass sie später zu einer ausgedehnten Besichtigung im Dunkeln zurückkommen kann. (Wie man an den Fotos erkennen kann, konnte ich dieses Versprechen einhalten ;-)) Feinfühlig bietet sie mir an, das allein zu tun. Guter Vorschlag, denke ich.

Der Hunger treibt uns in ein wunderschönes „Boutique-Hotel“ in der Nähe – dort gibt es ein veganes Restaurant. Ich muss zugeben: So gut und immer noch preiswert haben wir lange nicht mehr gegessen.
Das Unglück passiert auf dem Rückweg. Wir müssen über eine Straße mit vier Fahrspuren in jeder Richtung. Chrissie schlängelt sich zuerst durch den dichten Verkehr, ich warte noch auf die nötigen Lücken im Strom der Busse, PKWs und Motorroller. Als ich glücklich drüben ankomme, suche ich Chrissie zunächst vergebens. Dann höre ich ihre Schmerzensschreie – sie krümmt sich gerade auf dem Bürgersteig, als müsse sie sich übergeben. Im letzten Moment kann ich es verhindern, dass sie schmerzhaft auf den Knien landet.
„Ist dir schlecht?“
„Nein! Scheiße!“ Sie heult. „Mein Fuß!“
Ich helfe ihr auf und sie balanciert auf einem Bein und stöhnt.
„Was ist denn passiert?“
„Der rechte Fuß! Das tut so weh!“
Nach und nach kapiere ich. Sie ist auf dem nassen Pflaster dicht vor den hohen Bordsteinen ausgerutscht und nach vorn geschlittert. Dabei ist sie mit dem Fuß in eine der Höhlungen geraten, durch die das Wasser unter die Bürgersteine fließt.
Abfluss
So ähnlich sah der Übeltäter aus, der Chrissies Fuß angegriffen hat.

Der Fußrist ist geschwollen. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und flucht. „Mann, so eine Kacke. Ich kann nicht auftreten.“

Was jetzt?
Krankenhaus! Aber wir haben keine Notfallnummer. Versuchen ein „Grab“ zu bekommen, aber die Wartezeit im Abendverkehr ist lang. Mühsam humpeln wir ein paar Meter weiter zur Ausfahrt aus einem riesigen Kreisverkehr,  wo ein Auto halbwegs sicher anhalten kann. Blick auf das Handy. Noch immer ist das Grab weit weg. Chrissie atmet schwer: „Hoffentlich ist nichts gebrochen!“
Scheiße auch – dann könnten wir den Rest der Tour vergessen oder erst ein paar Wochen in einem Hotel verbringen. Glänzende Aussichten. Und das Taxi lässt auf sich warten.
Plötzlich schert ein SUV aus der Fahrzeugkette aus und hält, von Protestgehupe begleitet, direkt vor uns. Ein junger, schlanker Kerl springt heraus: „Do you need help?“
Wir erklären, um was es geht, und er nickt: „Steigt ein. Ich bringe euch in ein Krankenhaus.“
Das Problem: Überall staut sich der Berufsverkehr. Und wenn die Straßen dicht sind, helfen auch heftige Hupkonzerte und der ruppige Versuch, sich vorzudrängeln, nicht weiter.
Das gibt uns die Möglichkeit, uns ein wenig mit dem Retter zu unterhalten. Er heißt Daren, ist Anfang 20, studiert eigentlich im Ausland, besucht aber gerade seine Familie. Sein Vater musste fliehen. Er ist Rohingya.
„Wir hatten Glück. Meine Familie hat Geld“, sagt er. Auch für ihn als Sohn eines Rohingya sei es oftmals nicht einfach. Allein für das Ausreisevisum des Sohnes haben sie eine „Gebühr“ entrichten müssen, die unsere Reisekosten deutlich übersteigt …
Die Leute in Myanmar hätten bis auf wenige Ausnahmen kein Problem mit dieser Minderheit. „Die Regierung ist das Problem. Sie …“
Das Telefon unseres Retters unterbricht seine Erklärung. Ein kurzes Telefonat, bei dem er auf die Uhr schaut. „Hast du einen Termin?“
„Ja, mit einer Freundin.“
„Jetzt verderben wie dir noch den Abend.“
„Nein, wirklich kein Problem …“
Als es weiter geht, taucht rechts ein Krankenhaus auf. Doch wir fahren daran vorbei. „Das Krankenhaus ist nur für Mönche. Keine Ahnung, ob die Ausländer behandeln.“
Zehn Minuten später erreichen wir ein riesiges Hospital. Unser Fahrer hält direkt vor der Notaufnahme. Chrissie bedankt sich bei ihrem Retter und verabschiedet sich.
Helfer in der Not
Chrissies Retter in der Not
Dann will sie loshumpeln, aber man lässt sie nicht. Sofort eilt eine Krankenschwester mit einem Rollstuhl herbei und fährt die Fußkranke in einen größeren Behandlungsrum. Ein junger Arzt eilt herbei. Er spricht ordentlich Englisch, Chrissie berichtet, der verletzte Fuß wird gesäubert und abgetastet – schnell ist klar, dass keine Not-Operation notwendig ist. Zeit, Chrissies Personalien aufzunehmen und die Frage der Behandlungskosten anzuschneiden. Die Information, dass wir gegen eine ordentliche Quittung direkt bezahlen, entspannt die Lage deutlich.
Treuer Begleiter im Krankenhaus
Treuer Begleiter in allen Lebenslagen
Dicker Fuß
Den rechten Huf hat‘s erwischt
Es dauert einige Minuten, bis ein älterer Arzt kommt. Niemand muss erklären, dass er der Chef ist. Unaufgeregt, freundlich, gründlich. Am Ende erklärt er ruhig und in bestem Englisch, dass er nicht glaube, dass etwas gebrochen sei. Wenn Chrissie ganz sicher sein wolle, könne man sie röntgen. Das werde 10 Dollar extra kosten. Wenn sie einen Bruch sicher ausschließen wollte, sollte sie eine Aufnahme machen lassen.
Er werde ein Schmerzmittel verschreiben und eine Salbe, die das Abschwellen unterstützt. Nach ein paar Tagen Schonung werde sie wieder normal laufen können. Als wir in einer riesigen Halle unsere Rechnung über 60 Dollar bezahlen, fällt uns auf, dass dort fast fünfzig Leute sitzen, den Blick auf die Wand gegenüber gerichtet.
Wartesaal Krankenhaus Und dort gibt es nebeneinander mehr als ein Dutzend Türen. Sprechstunde im Krankenhaus? Am frühen Abend?
Wir haben keinen Nerv, uns danach zu erkundigen, sondern sind froh, dass Chrissie mit Schmerzen zu unserem Taxi humpeln kann.
Drei Highlights sind noch der Erwähnung wird.
1. Am nächsten Tag ist Chrissie noch immer gehbehindert. Aber sie fühlt sich stark genug, in unserem Hotelzimmer ein wenig aufzuräumen – eine dringend notwendige Maßnahme. Dabei fühlt sie sich bemüßigt, unsere mitgeführten Steppjacken von einem Haken auf einen anderen zu hängen. Gebraucht haben wir die lästigen Dinger ja noch nicht: Die Übernachtung auf der großen chinesischen Mauer ist ja ausgefallen. Und bis zu unserer Rückkehr Ende November werden wir sie weiterhin auf unsere großen Rucksäcke binden können. Also: Sie hängt auch ihre rote Polarjacke um – und da bumst es kräftig gegen die Rigipswand. Warum? Sie tastet die Jacke ab, entdeckt in einer Tasche einen röhrenförmigen Gegenstand und zieht ihn heraus. Es ist die vermisste Powerbank! Genau jene, die ich ja – vermeintlich – verschludert habe. Den Kniefall auf dem harten Boden erlasse ich der Rekonvaleszentin – gentlemanlike, wie ich es nun mal bin. Dafür kann ich einen extra großen Schluck Rum heraushandeln …
Chrissie
Zwei Tage später ist der Fuß zwar noch dick, aber ich kann ohne Probleme laufen. Mein Abenteuerdurst ist durch die zuvor verlorene Zeit umso größer. „Lass uns mit der Eisenbahn fahren“, schlage ich Reinhard vor. „Ich habe gelesen, das soll total urig sein und man kann dabei sehr einfach Einheimische kennenlernen.“
Drei Stunden soll die Bimmelbahn brauchen, um einmal rund um Yangon zu fahren. Ticketpreis um die 20 Cent. Geschenkt.
Bereits vor Ankunft sehen wir von Weitem, dass es mehr Bahnsteige als in Bochum gibt, aber für eine Millionenstadt doch verdammt wenige. Und die wenigen Züge, die wir unten sehen, haben alle bereits das Rentenalter erreicht.
Ratlos stehen wir dann vor dem verwitterten Bauwerk. Ein Relikt, das noch aus der Kolonialzeit stammt und seitdem sicher noch nicht einmal restauriert oder auch nur renoviert wurde.
BahnhofRechts und links zwei hohe Hallen, in der Mitte ein flacheres Verbindungsstück.  Alle Hinweisschilder aber tragen nur die Schnörkelschrift des alten Burmas.
Wir stellen uns in der nächsten, der rechten Halle an – und sind natürlich falsch. Mehrere Leute schicken uns nach links: Platform seven!
Kein Problem, denken wir, und suchen in der linken Halle nach einem Fahrkartenschalter. Doch die Tickets gibt es erst am Bahnsteig. Dort erfahren wir, dass wir nur eine halbe Runde fahren können – der Rest der Strecke werde gerade erneuert.
Ich suche den Namen des Bahnhofs, den mir der freundliche Mitarbeiter mitteilt, in meiner Offline-Navi. „Am besten steigt ihr am Bahnhof Danyingon aus. Da gibt es einen schönen Markt.“
Bahnlinie
Circular Train Bahnkreis
Eine halbe Stunde müssen wir warten.
Zum Glück gibt es einen Kaffeestand – und zwei andere Wartende, die gleich neben dem Rauchverbotsschild dem Eisenbahngott ein Rauchopfer leisten. Unnötig zu erwähnen, dass Reinhard die Jungs unterstützen möchte. Ich schaue mich um, während er mit einem Mann um die Vierzig zarte Rauchbande knüpft. Offenbar gibt es auch noch Gleis acht und neun – aber die liegen hinter einem Maschendrahtzaun. Und dort parkt ein wahrer Luxuszug: außen bestens lackiert und entstaubt, richtige Fenster mit Vorhängen. Wer immer damit fährt – Kim Jong Un kann’s nicht sein. Dessen Zug ist gepanzert und würde auf dieser Schmalspurstrecke keine hundert Meter weit kommen ..
Ich setze mich zu den Rauchern und freue mich, dass Reinhard in der Zwischenzeit auch für mich einen Kaffee besorgt hat. Der Burmese, der sich mit Reinhard unterhält, heißt Zaw Zaw. Und allein in den paar Minuten, die wir dort gemeinsam warten, erfahren wir tierisch spannende Dinge. Zum Beispiel dieses: Die Burmesen seien sehr abergläubisch. Astrologie spiele eine große Rolle. „Inwiefern?“, frage ich.
„Der Wochentag, an dem man geboren wird, bestimmt Charakter und Leben“, sagt er. „Wenn ihr den Namen von jemanden kennt, könnt ihr fast immer auch sagen, an welchem Tag er oder sie geboren wurde.“
„Hä? Wie das?“
Er fängt an zu erklären. „Wir nennen das Mahabote. Der astrologische Kalender hat acht Tage. Montag, Dienstag, Mittwoch Vormittag, Mittwoch Nachmittag, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag.“
„Warum wird der Mittwoch unterteilt?“
„Das ist der Tag, an dem Buddha geboren wurde. Jeder Kalendertag“, fährt er fort, „entspricht gleichzeitig einem Tier, einem Planeten und einer Himmelsrichtung. Ich bin zum Beispiel an einem Dienstag geboren. Das ist der Tag des Löwen. Mars ist mein Planet und die Himmelsrichtung ist Südosten.“
In meinem Kopf formen sich weitere Fragen, aber ich möchte wissen, wie man den Wochentag anhand der Namen errät.
„Ganz einfach. Wenn ein Kind wie ich am Dienstag geboren wird, bekommt es einen Namen, der mit S oder Z beginnt. So wie ich. Zaw Zaw.“
„Ernsthaft?“ Es fällt mir schwer, das zu glauben.
Aber Zaw Zaw bekräftigt dies. „Über 90% der Leute machen das so.“
In diesem Moment gesellt sich eine junge Frau zu uns. Sie stellt sich als Ei Ei Htay or und fragt, ob sie am Gespräch teilnehmen darf. „Ich möchte euch gern kennenlernen.“
„Gerne!“ Reinhard grinst genauso breit wie ich. Selbst ohne Bahnfahrt ist das hier schon wieder ein Reise-Highlight.
Ich bitte die Dame, ihren Namen zu wiederholen. Dann drehe ich mich zu Zaw Zaw um. „Und? Wann ist sie geboren?“
Er zögert keine Sekunde und richtet die Antwort direkt an Ei Ei Htay: „Bist du an einem Sonntag geboren?“
Sie nickt. Und ich bin beeindruckt.
Das Geräusch einer Lokomotive unterbricht unser Gespräch. Das Diesel ausatmende Eisengefährt quietscht über die Schienen.
LokomotiveWir steigen ein, sichern uns einen Platz neben Zaw Zaw.
Reinhard und Zaw Zaw
Reinhard und Zaw Zaw
Glasfenster? Fehlanzeige. Bei Regen zieht man einfach eine blickdichte Blechplatte herunter. Sitzreihen wie bei uns? Nein. Aber an den Außenwänden eine Kette von Bänken, so dass sich die Reisenden einander gegenüber sitzen. Falls es noch einen freien Platz gibt.
Eierverkauf im Zug
Der bärtige Mann bietet uns später an, uns zu unserem Hotel zu fahren
Dann geht es los. Schneckentempo. Die Gleise hier wirken ausgeleiert, die Räder ebenso und die Weichen verrostet. Und nach fünf Minuten der erste Halt – der Waggon füllt sich schnell. Nicht nur mit Fahrgästen, sondern auch mit fliegenden Händlern, die ihre Angebot mit lautem Geschrei ankündigen. Ananasstückchen in Plastiktüten, Dragonfruit, Betelnüsse, Hühnereier und Wachteleier …
Betelnussverkäufer
Wenn der Betelnussverkäufer sich selbst sein bester Kunde ist, bleibt der Mund auf Fotos besser zu 😉
Im Zug
Frische Ananas

An der zweiten Station setzt sich ein alter Mann zu uns. Abgetragene Kleider, kaum noch Zähne, aber gutes Englisch. Nach den üblichen Fragen (Woher kommt ihr? Wie lange seid ihr schon hier? Gefällt es euch?) erzählt er, dass er schon 80 sei und gerade aus der Schule komme, wo er Englisch unterrichte. „Mit 80?“, fragt Reinhard entsetzt. „Gibt es keine Rente?“

„Nein.“
„Kommt niemand für Sie auf?“
„Eigentlich müssten meine Töchter zahlen. Aber sie geben mir nichts. Und ich bin zu stolz, um sie zu fragen. Deswegen muss ich arbeiten.“
Es ist schwierig ihn zu verstehen, denn aufgrund der fehlenden Zähne nuschelt er stark.
Ich hake nach. „Und wenn Sie nicht mehr unterrichten können? Was machen Sie dann?“
Er streckt die geöffnete Hand aus: „Betteln.“
„Und wenn man keine Kinder hat?“
„Betteln.“
Ich bin betroffen. An wie vielen bettelnden alten Menschen sind wir schon vorbei gekommen? Und wie schon so oft auf unserer Reise habe ich das Gefühl, dass Reinhard und ich genau wie alle anderen Deutschen Gewinner bei der Geburtenlotterie sind. 6 Richtige mit Zusatzzahl.
Langsam kommt der Zug aus der riesigen Stadt heraus. Manche Bahnhöfe sind frisch renoviert, andere sind verfallen, hin und wieder warten wir einen Gegenzug ab, weil gerade das zweite Gleis erneuert wird, und vor den Fenstern sieht man oft direkt in die hölzernen Hütten hinein, in denen Menschen gleich neben den Gleisen wohnen.
Als wir unseren Zielbahnhof erreichen, regnet es mal wieder und wir landen mitten im Matsch.
Schlammige Schienen
Einen Bahnsteig im Sinne wie wir das kennen, gibt es nicht. Menschen laufen quer über die Schienen.
Eine Plattform auf der anderem Seite erreicht man über halb verfaulte Bretter. Zwischen den Gleisen werden Obst und Gemüse angeboten – und wenn ein Zug kommt, tritt man eben einen Schritt zurück, während die ausgelegten Salatköpfe, Möhren und Äpfeln unter den Waggons verschwinden oder vom Windstoß über die Gleise gefegt werden. „Nur gut, dass es in diesen Zügen keine Plumpsklos gibt“, sagt Reinhard und wirkt in seinem schwarzen Hemd auf diesem Markt so fehl am Platz wie eine Nonne im Hurenhaus.
Reinhard auf Schienen
Reinhard auf dem SchienenmarktUnglaublich, dass es im Jahr 2019 noch Orte wie diesen gibt. Dieser Markt könnte Schauplatz eines skurrilen Märchens sein. Für die Menschen, die hier ihre Waren feilbieten, ist es nichts Besonderes.
Markt auf Schienen
Der Regen verstärkt sich. Wir wollen zurück. Einfach gesagt, schwer umzusetzen. Wer denkt, dass man nun einfach in einen Zug in Gegenrichtung steigt, täuscht sich.
Vier Gleise gibt es. An welchem und wo sollen wir warten?
Wir blicken in viele lächelnde Gesichter, aber niemand versteht uns. „Yangon. Main railway station.“
Ein Junge in buddhistischer Mönchsbekleidung tippt uns an. Wir fragen nach dem Rückweg. Lächelnd reicht er uns je ein Taschentuch. „Je su tim bade“, sage ich – danke – und lächle zurück, während ich den Regen von meiner Stirn wische.
Mit Händen und Füßen gelingt es uns dann doch, das richtige Gleis zu finden.
Yangon - Bahnsteig
Ich zeige jemanden die Karte mit den Haltestellen, die wir abfotografiert haben. Der Mann, der Auskunft erteilt bedeutet uns fingertippend, dass wir am Bahnhof Insein umsteigen müssen. Uns kommt das alles mehr als Spanisch vor. Aber ohne Vertrauen kann man auf nix bauen. Und es funktioniert. Und nicht nur das. Als wir aussteigen, bietet uns ein Mann, der uns beim Gespräch mit dem alten Mann vom Hinweg schon wohlwollend zugelächelt hat, an, dass sein Auto um die Ecke steht. „Ich kann euch in euer Hotel bringen, wenn ihr wollt.“
Ein denkwürdiger Tag. Darin sind Reinhard und ich uns einig.

Reinhard
Dann ist es wieder Dienstag. Um drei Uhr nachmittags betreten wir die Visastelle der indischen Botschaft. Ein immer noch prachtvoller Protzbau im Kolonialstil, für die Antragsteller ist der ehemalige Dienstboteneingang geöffnet. Dahinter ein schmaler Warteraum mit mehreren Stuhlreihen, am Ende der Schalter der Entscheidungen. Eine resolute Dame, die sich meist an der Tür aufbaut, wacht darüber, dass sich niemand vordrängelt.
Vor uns sind acht Nonnen dran. Sie albern und kichern herum wie Teenies, obwohl – dem Augenschein nach – höchstens eine von ihnen unter 30 ist.
Indian embassy Nacheinander treten sie vor und müssen sich zuerst mit dem Rücken zur Wand vor dem Ausgabeschalter aufstellen. Die  Beamtin hinter der Barriere macht ein Foto, dann muss man vortreten und seine Fingerabdrücke abgeben: Erst die Handflächen mit den Fingern 2-5, dann kommen die Daumen dran. Die Frauen in den weißen Trachten haben bei dieser Prozedur einen Heiden-, nein, Nonnenspaß – der Klosteralltag muss stinklangweilig sein. Und diese acht werden bald sogar nach Indien reisen. Wir hören ihr freudiges Lachen noch. Als sie schon auf der Straße sind. Und wir freuen uns schon darauf, am Abend mit dem Nachtbus zu einem einsamen Resort an die Westküste zu fahren, um dort fünf faule Tag an Strand und Pool und mit gutem Essen verbringen zu können.
Jetzt ist Chrissie dran. Auch sie wird erkennungsdienstlich „behandelt“, bevor sie gegen Unterschrift ihren Pass mit dem eingeklebten Visum erhält. Das geht fix und routiniert. Ich habe die Prozedur nun neunmal beobachten dürfen und kann eigentlich nichts falsch machen. Doch als ich mich an der Wand für das Foto aufbaue, schüttelt die Frau hinter dem Schalter mich heran. Kein Foto? Sie schüttelt den Kopf. So strecke ich dann die rechte Hand aus, um meine Prints abzugeben. Nix da. Bitte unterschreiben, hier ist Ihr Pass.
Verwirrt nehme ich die Dokumente entgegen. Und traue mich, nach dem Warum zu fragen.
Die Beamtin lächelt: „Personen über 60 werden nicht mehr erfasst!“
Die Tragweite dieser Auskunft geht mir erst auf der Straße auf: Die Inder halten mich nicht für einen potentiellen Terroristen – und das nicht wegen meines ehrlichen Gesichts, sondern weil sie mich unter „Alter Knacker“ einstufen. Ich finde das absolut diskriminierend und bin beleidigt.
Indian visa
Happy! Der nächste Reiseabschnitt ist gesichert.
Abends im Bus spinne ich, rein theoretisch also, von einem neuen Krimi: Eine Gang alter Säcke demonstriert „den Indern“, was man in diesem Alter noch drauf hat. Aber das hat Hollywood schon mehrfach in Actionfilmen verarbeitet. Sogar dieser Spaß wird einem verdorben. Bin ich wirklich schon auf dem Abstellgleis? Oder passen die Prädikate „Älter, härter, besser“ auch zu mir? 😉

 

 


Allgemein, Myanmar
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12 thoughts on “Myanmar – gelbe Schminke, rote Zähne, blauer Fuß”

  1. Bina sagt:
    6. August 2019 um 23:57 Uhr

    Ein „Hallo“ in die Ferne!
    Von Anfang an lese ich euch und finde klasse, was ihr euch vorgenommen habt 🙂
    Es berührt, fesselt, macht schmunzeln und ist für mich eine lieb gewordene Begleitung geworden: nachzuschauen, wo ihr seid und wie es euch geht.
    Weiterhin gute Nerven, schöne und spannende Begegnungen und viel Liebe für- & miteinander.
    Viele Grüße
    Bina

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      7. August 2019 um 9:37 Uhr

      Liebe Bina, Danke für dein Lob und die guten Wünsche. Schön, dich „an Bord“ zu haben. 😊

      Antworten
      1. Reinhard Junge sagt:
        7. August 2019 um 9:45 Uhr

        Vielen, vielen Dank für die Grüße! Wir sind weiter wohlauf und unterwegs. Überraschungen gibt es immer wieder. So mussten wir heute Unsere Rucksäcke im esten Morgengrauen bepacken, weil das Hotel Stromausfall hatte. Inzwischen haben wir am Tagesziel (Ortsangaben später) ausgepackt und vermissen nichts. Bleibt munter!

        Antworten
      2. Bina sagt:
        7. August 2019 um 10:54 Uhr

        🙂 Aber so was von an Bord! 🙂
        Das tolle ist, in diesem Falle steuert ihr das Schiff und ich darf einfach Passagierin sein.
        Eine völlig neue Erfahrung, die ich sehr geniesse!
        Habt es gut und SCHREIBT – Kicher.

        Antworten
  2. Manfred Sommerfeld sagt:
    5. August 2019 um 23:05 Uhr

    „Wie sehen die denn aus?“ (Reinh. Eing.-Frage)
    Na, wie ich, nachdem ich den Rasierschaum unsystematisch über mein Gesicht verteilt , -und im nächsten Moment feststelle, das ich die Wilkinson vergessen habe.
    In Myanmar haben die Klingen, aber leider nicht Reinhards Eigenschaften: „älter, härter, besser.“ Das Ergebnis kennen wir ja nun?!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      6. August 2019 um 10:12 Uhr

      Unter uns traditionsbewussten Nassrasierern: shit happens! Hast du es mal mit einem echten Rasiermesser versucht? Habe als Kind bei meinem Opa Willy immer staunend daneben gestanden und mich über die Grimassen gefreut, mit deren Hilfe er die Haut an Kinn und Wangen gestrafft hat …

      Antworten
  3. Gitte und Peter sagt:
    3. August 2019 um 9:34 Uhr

    Da sind wir aber froh, dass eure Reise in Myanmar in vielen Punkten doch wieder so gut abgelaufen ist. Ist es nicht toll, dass im richtigen Moment oft die richtigen Menschen vorbeikommen! Euch kann nach eurer Reise wahrscheinlich nichts mehr schocken. Ja, ihr habt recht, was haben wir für ein Glück, in diesem Teil der Welt leben zu dürfen.
    Irgendetwas Gutes muss es ja haben älter zu werden: Bären-Ticket, Ermäßigung an einigen Orten und dann die vereinfachten Visa Formalitäten, ist doch super!!!
    Euch weiterhin viele Abenteuer und viele nette Menschen.

    Antworten
  4. Bodo und Heidi sagt:
    1. August 2019 um 19:12 Uhr

    Willkommen in Yangon mit allem, was dazugehört!
    Das war mal wieder spannend und zugleich interessant, mit welchen einheimischen Bräuchen Ihr konfrontiert worden seid!
    So ganz können wir uns mit der Gesichtsbemalung, dem Kauen der Betelnuss und deren Folgen nicht anfreunden. Beim Lesen durchzog uns eine leichte Gänsehaut!
    Geschockt waren wir über Dein schmerzhaftes Missgeschick, liebe Christiane! Umso erleichterter sind wir, dass Du Glück hattest, der Fuß war nicht gebrochen! Reinhard, ein freundlicher Burmese und die Ärzte haben Dich gut versorgt!
    Eurer weiteren Entdeckungsreise, wenn auch etwas „fußeingeschränkt“,
    steht nichts mehr im Wege!
    Der Markt entlang der Eisenbahnlinie mit dem Circular Train ist ja wirklich der Hammer! Das ist für uns unvorstellbar, was sich dort abspielt!
    Wie dankbar müssen wir alle sein, dass es solche Verhältnisse nicht in unserer Heimat gibt!
    Nun wünschen wir Euch für Euren weiteren Aufenthalt in Myanmar viele unvergessliche Highlights!
    Wir freuen uns, dass der nächste Reiseabschnitt bereits gesichert ist!
    Lieber Reinhard, da sind wir ganz bei Dir, die Eigenschaften „älter, härter, besser“ treffen zu 100 % für unsere Generation zu!
    Macht es gut, Ihr beiden, viele Grüße von uns!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      6. August 2019 um 10:20 Uhr

      Ja, manchmal wundert es uns selbst, wie gut wir aus diesem oder jenem Haufen Kot wieder herauskommen! Aber Chrissies blaue Augen lassen so manches Eis schmelzen! – Wir hoffen, dass ihr euch an Martin Calsows Hausteich gut erholt habt!

      Antworten
  5. Herbert Nagel sagt:
    1. August 2019 um 10:23 Uhr

    Damit ist die Frage geklärt. Als Zahnarzt kommst Du in Myanmar nicht zu Deinem Porsche. ..Nur gut, dass es Deinen Fuss wohl nicht zu arg getroffen hat. Bleibt fit und weiterhin viel Spass. Apropos. Angela ist immer noch Kanzlerin aber derweil urlaubt sie. Wie ihr.

    Wieder mal tolle Impressionen…

    Antworten
  6. Klaus sagt:
    1. August 2019 um 10:03 Uhr

    Ich bin schwer beeindruckt!
    So viel erlebt und dazugelernt.

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      6. August 2019 um 9:01 Uhr

      Vielen Dank,
      dem können wir nicht widersprechen! 😉

      Antworten

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