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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt
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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Grenzüberschreitung
Zu Fuß nach Indien

Zu Fuß nach Indien

22. August 2019 Christiane Bogenstahl Comments 10 comments
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Chrissie
Road to Mandalay. In unserem Fall keine Straße im eigentlichen Sinne. Die Bootsfahrt, die in Bagan startet, gefällt uns. Über uns leuchten Mond und Sterne. Fledermäuse flattern über unseren Köpfen. Sie ahnen die Morgendämmerung, bevor sie sichtbar wird, und suchen Schutz in den Bäumen, die am Ufer wachsen. Wir schippern friedlich über den Irrawaddy und halten uns an den Händen. Wir dösen, aber schlafen nicht. Sehen, wie der Himmel sich zart orange verfärbt. Es sind glückliche Momente. Reinhard lächelt mich an. „Jetzt noch ein Kaffee.“
Ich ziehe scherzhaft eine Augenbraue hoch, denn der Zusatz „… und eine Kippe“ fehlt. Aber ausnahmsweise schließt Reinhard nur zufrieden die Augen und seufzt.
Seine Wünsche werden offenbar erhört. Bereits um kurz nach sechs beginnen die fleißigen Jungs, fürs Frühstück einzudecken. Als wir um 07:00 Uhr mit dem Kaffee in der Hand im Schatten sitzen, ist der Tag schon voll erwacht. Nicht nur auf unserem Schiff. Fischer sitzen in kleinen Booten und angeln, wir ziehen an einigen Wasserbüffeln vorbei, sehen Pagoden, die zwischen den Bäumen funkeln wie Schmuckstücke.
Dämmerung
Wasserbüffel
Die Fahrt ist wie ein Erholungsurlaub. Und als wir die ersten Brücken vor Mandalay durchfahren, dämmert es schon wieder. Kurz darauf geht die Sonne unter und taucht alles in ein leuchtendes Orange-Rot.
Brücke vor Mandalay
SonnenuntergangZum ersten Mal seit Ewigkeiten kommen wir frisch und erholt an.
Doch der erwartete mythische Funke zündet bei uns nicht.
Vier Tage verbringen wir in Mandalay. Das Königsschloss ist nett, aber in unseren Augen nicht wirklich ein Prachtstück. Haben wir schon zu viel gesehen und denken nur noch in Superlativen? Vielleicht ist das ein (weiterer) Punkt Abzug für das Langzeitreisen. Zu viele Eindrücke, zu viele Informationen. Sind wir dabei, das Staunen zu verlernen? Ein unbehaglicher Gedanke.
Kaiserpalast Mandalay
Kaiserpalast Mandalay
Kaiserpalast Mandalay von oben
Noch unbehaglicher ist jedoch die im Park stationierte Militärkapelle. Manche sollten besser im Bunker üben. Gegen das Katzengejammer, das über die Mauer dringt, sind sogar die Blockflötenspiele von Musikschulkindern zur Weihnachtszeit ein Ohrgenuss.
Einen Tag lang verbringen wir mit einem Guide, um uns per Tuk Tuk ein wenig Natur zu gönnen. Aber die Wasserfälle liegen zum größten Teil trocken. Unser Guide zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Eigentlich ist es Regenzeit. Aber in den letzten Jahren …“
Es ist dieselbe Geschichte, die wir in allen Ländern hören. Das Klima ändert sich. Und zwar drastisch. Am letzten Tag wollen wir wenigstens das berühmteste Fotomotiv der Stadt besuchen: die U-Beinbrücke. 1850 gebaut, ist sie die älteste aus Teakholz gefertigte Fußgängerbrücke der Welt. Frühmorgens sieht man die Mönche in ihren orangefarbenen Gewändern auf dem Weg zum Tempel auf ihr wandeln.
Atemberaubend sei der Anblick der untergehenden Sonne. Etliche Instagramfotos beweisen es. Pünktlich ordern wir ein Taxi, das wir uns mit einem Paar teilen, das im gleichen Hotel haust wie wir. Als wir aussteigen, sind wir enttäuscht. Bewölkter Himmel, keine Sonne in Sicht. Okay. Aber was zur Hölle ist denn auf der Brücke los? Sind wir in China?
Beim Betreten der U-Bein Brücke
Grusel beim Betreten der U-Bein Brücke
Reinhard auf der U-Bein Brücke
Reinhards Begeisterung kennt keine Grenzen. Aber andere haben Spaß 😉
Vor der Brücke lauern etliche Bootsbesitzer, die ihre Dienste anbieten.
BooteDer Sonnenuntergang ist ein Geschäftsmodell. Wir denken nur kurz darüber nach, denn aktuell können wir nicht mal die Himmelsrichtung ausmachen, in der wir den Stern suchen müssten.
Machen wir es kurz, das Interessanteste an diesem Ausflug sind für uns ein paar Jungs, die kunstvolle Sprünge ins Wasser üben.
Luftsprünge
Sonnenuntergang U-Bein Brücke
Vielgerühmt – Sonnenuntergang U-Bein Brücke. Es gibt schönere Fotos im Netz 😅
Reinhard
Wir sind nicht besonders traurig, als wir einige Tage später in dem Bus nach Kalay sitzen, dem letzten größeren Ort vor der indischen Grenze. Start um 15:00 Uhr. Wir sitzen in der ersten Reihe direkt hinter dem Fahrer – so etwas habe ich mir schon als Kind immer gewünscht. Man kann gucken und träumen. Besonders dann, wenn das Wort Indien eine Flut von Assoziationen auslöst. Tee und Tempeltänzerinnen, Gold und Gewürze, Schlangenbeschwörer und Elefanten! Wartet all das wirklich auf uns?
Schon Alexander der Große ist hier gescheitert. In der Neuzeit streckten Europas Herrscher und Kaufleute ihre gierigen Hände aus. Handelsstädte wurden zu Einfallstoren der Kolonisatoren. Und am brutalsten waren die Briten: Sie zerschlugen zuerst alle Webstühle, so dass die Inder nur Rohwolle verkaufen konnten  – reich wurden Englands Tuchfabrikanten. Schwacher Trost, dass Englands Invasionstruppen zum Ausgleich von einer männermordenden Scheißerei dezimiert wurden. Der Begriff  „Darmflora“ war noch unbekannt.
Alles? Nein. Da gibt es noch das Dschungelbuch des Besatzungsoffiziers Rudyard Kipling – Vorlage für einen tollen Film. Kipling schrieb aber auch, jedes englische Soldatengrab in Indochina sei ein Fleckchen Erde, „that is forever England“. Weit gefehlt. Denn da kamen noch etliche Befreiungskriege sowie Mahatma Gandhi, Nehru und Indira Gandhi – die dem freien Indien Weltgeltung verschafften.
Viele (West-) Deutsche faszinierte ein anderes Indien-Bild. 1958/59, lange vor Bollywood, drehte Fritz Lang mit Debra Paget und Paul Hubschmid die Abenteuerschnulzen „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“. Diese Kassenschlager weckten bei vielen Zuschauern heftiges Fernweh; aber das konnten sie wegen der gigantischen Flugpreise vorerst nur an der Adria befriedigen. Erst die Himalaya-Gurus, die Seelenfrieden und eine schmerzfreie Wiedergeburt versprachen, lockten die Vorläufer der heutigen Rucksacktouristen in die Region – noch ganz ohne Internet und GPS. Im Vergleich dazu sind wir schon fast Luxusreisende …
Der Bus ist flott. Lange Zeit geht es durch Reisfelder und Mischwald, ab und zu stoppen wir kurz an Mautstellen. Von meinem Platz aus kann ich die Fahrzeugwaage beobachten. Dem Bus fehlen nur wenige Gramm an 18 Tonnen – im Gepäckraum liegen neben Rucksäcken und Koffern auch Säcke mit irgendetwas Weißem. Reis? Zement? Keine Ahnung!
Rumpel! Das waren schon wieder die Bahngleise. Nach der Schranke geht es Dutzende Kilometer stur geradeaus, parallel zu der uralten Schmalspurstrecke. Einst haben die Briten sie angelegt, aber heute gehört ihnen wohl keine Schwelle mehr – und die Burmesen lassen den wertvollen Stahl ungenutzt liegen. So warte ich vergeblich darauf, zur Abwechslung einen Zug oder auch nur ein paar abgestellte historische Waggons zu erblicken …
Später wird die Straße holpriger, Baustellen mit Sand, Schlamm oder Schotter. Vor einem Flusstal hört die Fahrbahn plötzlich ganz auf – aber da ist ja noch die alte, einspurige Eisenbahnbrücke. Ein heftiger Schwenk und wir steuern auf das Stahlgerüst zu. Die Schienen klemmt der Fahrer zwischen die Busräder – und schon rütteln uns die von Sand bedeckten Holzschwellen durch. Zwischen unseren Bordwänden und den Nieten des Brückengeländers bleibt so wenig Platz, dass ich jede Sekunde schreienden Stahl erwarte – aber wir halten Kurs. Als Chrissie endlich den Fotoapparat herausgekramt hat, ist der Spaß schon vorbei …
Ankunft in Kalay um kurz nach fünf – am nächsten Morgen. 😬
Zwei Stunden Warten auf ein Shared Taxi am Busbahnhof. Ein paar Straßenstände mit Knabberzeug und Getränken. Im Verhältnis zu den anderen siffigen Wartestellen sehr sauber, wenig Müll.
Chrissie nutzt die Chance, auf einer Holzbank im Büro der Busgesellschaft etwas Schlaf nachzuholen, während ich das Gepäck bewache wie ein treuer Hütehund.
Um 08:00 Uhr startet unser Kleinbus – bis zur indischen Grenze sind es immer noch zwei Stunden. Für den Übergang nach Indien gibt es zwei Gates: Gate 2 für Inder und Burmesen führt direkt in die Innenstadt von Moreh, alle Ausländer müssen zu Gate 1, das zwei oder drei Kilometer weiter entfernt liegt.
Die Ausreise klappt problemlos. Eine letzte Holzhütte für burmesische Soldaten direkt am Fluss, von wo aus sie die winzige Freundschaftsbrücke im Auge behalten können. (Den fälligen Kalauer über Größenverhältnisse spare ich mir lieber.)
Ausreise ist nah
Auf der anderen Straßenseite klettern wir noch eine Holztreppe rauf zu dem letzten Klo von Myanmar. Chrissie zuerst – und sie kommt leicht angeschlagen wieder raus: „Mann, das schmierigste Klo ever. Hockklo. Beschissen wie sonst was. Und kein fließendes Wasser.“
„Niemandsland, niemands Klo“, witzele ich und bin dann froh, dass Männer ja – ganz egoistisch – etwas mehr Abstand vom Füllort halten können. Auf die paar Tropfen kommen es hier wirklich nicht mehr an.
Freundschaftsbrücke von oben
Aussicht auf die Freundschaftsbrücke von oberhalb der Treppe zum dreckigsten Hockklos Myanmars
Fotos sind an den Kontrollstellen verboten, doch Chrissie findet solche Verbote blöde. An irgendeiner Grenze wird es noch mal schiefgehen und sie als Spionin verhaftet – heute nicht.
Office Tamu - MorehSo dokumentiert sie unseren Aufstieg nach links auf eine Anhöhe.
Ausgestempelt und los
Grenzüberschreitung
Ankunft in Indien
Ankunft in Indien
800 Meter Fußweg zur ImmigrationMit billigen Holzhütten wie ihre Nachbarn geben sich die Inder hier nicht ab:  Rote Dächer sind schon von weitem zu sehen, darunter verbergen sich nagelneue Bauten mit viel Glas und Beton. Vor einem befindet sich eine Schranke, bewacht von einem Soldaten mit Kalaschnikow. Kein Zutritt. Aber gegenüber! Freundlich weist er uns den Weg zur Immigration.
Großes gesichertes Gelände vor der indischen Immigration
Großes gesichertes Gelände vor der indischen Immigration
Reinhard kurz vor der Immigration
Vor der Immigration – Die Hose rutscht schon wieder.

Chrissie

Wir stehen vor einem zweckmäßigem Bau, treten ein. Innen schaut es ebenso minimalistisch aus wie außen. Außer uns werden ein Einzelreisender und eine Familie abgefertigt, Touristen sind hier im Nordosten noch dünn gesät.
Wir dürfen wieder mal ein Einreiseformular mit unseren sämtlichen Daten ausfüllen – in aller Ruhe. Der kinderreichen Großfamilie im Hintergrund geht es schlechter: Zollbeamte fleddern zwei riesige Koffer auseinander. Ich spüre plötzlich leichte Magenbewegungen. Darf ich eigentlich den Rum einführen, den ich mittig in meinen Rucksack gesteckt habe? Wird schon, denke ich, wir sind ja nicht im Iran.
Die Visa- und Passkontrolle sind entspannt. Alles läuft wie geschmiert. Und dann müssen wir beim Zoll noch ein Formular ausfüllen. Natürlich wollen sie zunächst alle Daten, die wir schon vorn abgegeben haben, dann wird nach unseren Mitbringseln gefragt. Die Einfuhr von Samen, Fleisch und Früchten muss schriftlich gemeldet werden. Führen wir irgendwas davon ein? Nö! Ich kreuze überall ‚Nein’ an. Als ich fertig bin und Reinhards Zettel checke, muss ich laut loslachen. Artig hat er unseren Reiseproviant eingetragen.
1 Apfel, 1 Orange. Ob die das so genau wissen wollten?
ZollformularSpäter fällt ihm auf: Ups, ich hab die Mango unterschlagen … und ich kontere: „Ich hab noch Sonnenblumenkerne im Rucksack.“
Spätestens, wenn die Zollbehörden unserem Blog auf die Spur kommen, dürfte wohl klar sein: „Die lassen uns NIE WIEDER nach Indien 😂.
Es folgt die Kontrolle. Stunde der Wahrheit? Darf ich den Rum mitnehmen?
Wir öffnen die Rucksäcke. Der Kollege vom Zoll hat uns bei den Familienkoffern gezeigt, was er drauf hat. Unsere Rücksäcke sind vollgepresst mit Kompressionstaschen, Schmutzwäsche und Klimbim. „Have fun“, wünsche ich ihm grinsend, als er versucht eine Hand in meinen Rucksack zu schieben. Er scheint keine große Lust zu haben, sich anzustrengen, der er lässt Milde walten. Hebt hier einen Jutebeutel an, darunter eine schmutzige Trekkinghose – und winkt uns durch. Jeder konnte sehen, dass er seine Pflicht getan hat – Zeit fürs Mittagessen.
Aber wie geht es für uns weiter? Ich habe in einem recht neuen Erfahrungsbericht gelesen, dass es vom Grenzübergang aus keine Taxen gibt, sondern dass man die 2-3 km bis nach Moreh laufen muss. Bei dieser Hitze? Mit Gepäck? Keine tolle Aussicht. Hinzu kommt, dass wir nach mehr als 20 Stunden Reisezeit platt sind wie durchlöcherte Fahrradschläuche.
Doch wir haben Glück!  Auf dem Weg in die Freiheit entdecke ich einen Aushang: Free Shuttle Moreh. Ich gehe nochmal zurück zum Zollbeamten und frage nach. „Free Shuttle? Für uns? Nach Moreh?“ Er nickt. Hinter Ausgang gebe es einen Parkplatz mit einem weißen Sammeltaxi. Genial. Wir fühlen uns, als hätten wir ein Stück Gold gefunden und eilen beflügelt beim Gedanken auf ein Bett in einem netten Hotel nach draußen. Dann passiert’s.
„Scheiße“, schreit Reinhard. Ich wirbele um die Achse und sehe, wie er – Gesicht und Arme voraus – die letzte Stufe nach unten fliegt. In der ersten Sekunde bin ich schockstarr. Doch eine Sekunde später stürzen Leute stürzen mit mir auf ihn zu und wollen helfen. Alles ok? Dann atme ich auf. Nix gebrochen, nix passiert. Kein Schwächeanfall, sondern die Schnürsenkel seiner Trekkingschuhe hatten sich zu einer Fußfessel verhakt. Er rappelt sich schnellstmöglich auf. Die Situation ist ihm peinlich. Die netten Helfer sind noch nicht überzeugt, dass alles gut ist. Einer nimmt ihm den Rucksack, ein anderer mir. „Nein, das ist nicht nötig“, sagt Reinhard beschämt, während er ich den Staub von der Hose klopft. Aber ich flüstere ihm zu. „Genieß es. Die bringen das Gepäck zum Shuttle. Manchmal muss es doch auch Vorteile haben, alt zu sein.“
Er guckt mich überrascht an, dann einen weiteren Helfer, der sich den Tagesrucksack schnappt. Diesmal kein Protest. „Thank you!“
Mit dem kleinen Shuttletransporter geht’s los. Wir sind die einzigen Passagiere und werden bis zu unserem Hotel am anderen Ende von Moreh gebracht. Elora, das teuerste Haus am Platz. Der Weg ist deprimierend. Die Stadt ist hässlich. Grau und braun dominieren das Bild. Staub liegt auf allem. Eine lange breite Straße, die von lieblosen Bretter- und Wellblechbauten gesäumt wird. Der Dreck aus der Luft dringt in alle Poren. Hier atmet alles Trostlosigkeit und No Future.
Moreh, du bist so hässlich
Wir werden direkt vor unserem Hotel abgesetzt. Alles wunderbar. Schönes Zimmer. Sauberes Bad. Können wir Ihren Wifi-Key haben?
„Oh nein, wir haben kein WiFi!“
Wir sind wirklich am Popo der Welt. Und indisches Geld haben wir auch nicht. Also ziehen wir los, ATMs abklappern. Einer ist kaputt, einer akzeptiert keine Visa, der nächste akzeptiert angeblich Visa, tut es aber doch nicht. Ein weiterer ist leer.
Zum Glück nicht unser Hotel
Zum Glück nicht unser Hotel

Plötzlich stehen wir mitten in der Stadt an der Grenze. Das muss Gate 2 sein. Einer der Soldaten bemerkt unsere Ratlosigkeit. Wir erklären ihm die Lage. Er ruft einen jungen Tuk-Tuk-Fahrer herbei und gibt ihm den Auftrag, uns zu einem funktionierenden Automaten zu bringen. Der Bursche pariert, lässt sich aber nochmal von einem Ortskundigen erklären, wohin die Fahrt gehen soll. Wir landen – wieder bei der ersten Bank. Ich versuche, es dem Fahrer zu erklären. Er nickt und bedeutet mir, zum Schalter zu gehen. Okay, wenn es sein muss. Der dritte Angestellte, der gerufen wird, versteht mich. Er gibt mir den Tipp, dass ein paar Häuser weiter ein ATM sei. Unser Fahrer erhält Instruktionen. Wenige Minuten später steigen wir aus. Dreckiges Hinterhaus. Nix sieht nach Bank aus, aber ein kleines Schild weist auf die zweite Etage. Staubige Stufen, schmaler Durchgang. Jau. Da steht ein Geldautomat. Leider hinter einem verschlossenen Rollgitter. Ich bin genervt. Ob wir diesen Puff namens Moreh jemals verlassen können? Ohne Geld sicher nicht!

Nächstes Haus. Es sieht von oben aus wie ein Copyshop. Ich will zum Automaten. Ein Mann sagt mir: „Not working!“ Trotzdem schauen Reinhard und ich uns das Elend an. Der Mann hat nicht übertrieben. Der Bildschirm ist schwarz. Aus dem Stromkabel, das lose an der Wand hängt, baumeln einige lose Drähte. Reinhard und ich sehen uns an. Wo ist eigentlich die versteckte Kamera?

Ein Sicherheitsbeamter der Bankfiliale kommt mir entgegen. Zeigt mir noch einen unscheinbaren Kasten zwei Häuser weiter. Und endlich. Unvorstellbares Glück. Ich schaffe es, 20.000 Rupien abzuheben – so etwa 260 Euro. Der Tuk Tuk Fahrer kann ausgelöst werden. Wir geben ihm 100 Rupien und er küsst strahlend den Geldschein. War wohl ein guter Kurs. Auf jeden Fall bringt er uns freiwillig und ohne Aufpreis zu einem Simkarten-Shop.  Eine Bretterbude. Der Mann versteht uns und nickt, zieht eine Schublade auf. Er hat eine Karte. Eine einzige.

Mann, Mann, denke ich und schaue mir das Teil an. Die Verpackung ist schon mal geöffnet worden, die Klebestreifen dunkelbraun vor Dreck. Ich warte ab, bis er die Simkarte herauslöst und betrachte skeptisch die unübersehbaren Schleifspuren.

„Ist die neu?“, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.

„Ja“, lügt er.

Wir sparen uns weitere Diskussionen und drehen ab. Der nächste Laden sieht professioneller aus. Mobile steht groß auf einem Schild. Vier Angestellte. Handyzubehör. Karten von verschiedenen Providern. Nach kurzer Beratung entscheide ich mich für airtel – die Simkarte soll in ganz Indien funktionieren. Ein drahtiger junger Typ legt die Karte ein, tippert an meinem Handy herum, reicht es mir. „Ready.“

Ich prüfe auch noch ein, zwei Sachen. Mobile Daten sind aktiviert. Dann teste ich. Kein Internetempfang.

Zwei junge Frauen und der Inhaber versuchen ihr Glück. Aber nichts klappt. Sie zeigen mir das airtel Symbol auf dem Handydisplay. „Working!“

“Äh, nein! Ich wollte eine Karte, mit der ich surfen kann.“

“Connection is low here.“

“Nein, hier ist gar keine Verbindung.“

Ich demonstriere einen erfolglosen Versuch eine Webseite aufzurufen. Endlich erbarmt sich ein Mitarbeiter und verschwindet hinter einem Vorhang. Was kommt nun? David Copperfield?

So ähnlich, der Typ scheint Ahnung zu haben. Er schnappt sich mein Handy, tippt Kolonnen aus Sternchen, Zahlen und Rauten. Leider lässt er mich nicht gucken, was er genau macht. Ich erhasche zwar einen Blick auf einige versteckte Menüs, aber als ich nachfrage, was er umstellt, zieht er nur die Schultern hoch. Kenne ich. Technikermagie. Keinen in die Karten blicken lassen. Das erhält den Status des Experten. Ich denke kurz an meine Kollegen und Kolleginnen in Essen und bin froh, dass die allesamt anders ticken.  Am Ende kann ich endlich wieder mit meinem Handy surfen. Und das ist die Hauptsache.

Reinhard

Auf dem Rückweg suchen wir vergeblich eine Art Café, in dem man vielleicht einen Kaffee bekommt. An der Hauptstraße ist nichts – auf die Nebenstraßen haben wir keinen Bock mehr, dafür aber eine Staublunge. Hier macht nicht mal Rauchen Spaß. Und die Einwohner haben im Überlebenskampf keine Zeit für Pausen. Also zurück zum Hotel. Hier gibt es ein günstiges Abendessen, günstigen Kaffee – aber nach wie vor weder Wifi noch Bier.

Und das Abendprogramm? Guter Witz! In dieser Stadt gibt es kein Nachtleben. Auch keine Schlangenbeschwörer und Tempeltänzerinnen. Indien, was ist nur los mit dir?
Nix. Aber Chrissie hat noch einen guten Film auf dem iPad. Und wir beide hoffen, dass es am nächsten Tag besser wird – in Imphal, Hauptstadt von Manipur.  Von da aus, das hoffen wir, wird alles besser …
Ob das wirklich so ist? Das werdet ihr vorerst leider nicht erfahren. Wir müssen euch nämlich eine Mitteilung machen und hoffen, ihr könnt uns das nachsehen. Aktuell liegen wir drei Wochen im Rückstand mit dem Schreiben. Es wird immer schwieriger, das wieder aufzuholen, weil immer mal was dazwischen kommt. Lange Fahrzeiten, keine oder nur schlechte Internetverbindung oder –  wie neulich erst – Montezumas Rache.
Kurz und schmerzlos: Alle, die sich dafür interessieren, was uns in Indien widerfahren ist, werden warten müssen, bis wir live mit unserer Bilder- und Videoshow auf Tour sind oder bis das geplante Buch zur Reise fertig ist.
Wir sind seit zwei Tagen schon in einem anderen Land und ein Stück näher an der Heimat. Wie, wo, was?
Das erfahrt ihr beim nächsten Mal.

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10 thoughts on “Zu Fuß nach Indien”

  1. Andreas sagt:
    29. August 2019 um 9:56 Uhr

    LOL!!!
    Ich musste soooo lachen, bei der Geschichte mit der SIM-Karte :-)))) Und ich konnte mir die Situation irgendwie ziemlich gut vorstellen. Was ich damals aus meiner Zeit in Indien mitgenommen hatte: was nicht passt, wird passend gemacht …

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      29. August 2019 um 15:12 Uhr

      Schön, dass dir unsere Berichte gefallen! Wenn Chrissie unangenehmen Überraschungen wie eine schrottige Simcard verarbeitet hat, kann sie auch wieder lachen. Aber wehe, man macht vorher eine harmlose Bemerkung, die nicht richtig ankommt! 🙄 Doch du weißt ja: „Hinterm Horizont geht’s weiter!“

      Antworten
  2. Heidi und Bodo sagt:
    27. August 2019 um 9:07 Uhr

    Ja, Ihr Lieben, die Heimat wartet auf Euch! Nach gut 7 Monaten Reisezeit werdet Ihr im Oktober den heimatlichen Sachsenring wieder erreichen! Das wird ein Wiedersehen! Wir freuen uns auf Euch! Sonnige Grüße aus Wattenscheid!
    PS: Die Rückreise mit dem Zug ins Ruhrgebiet wird spannend! In einschlägigen Blogs haben wir schon entsprechende Reiseberichte gelesen!

    Antworten
    1. Christiane Bogenstahl sagt:
      27. August 2019 um 10:32 Uhr

      Warme Worte, warmes Willkommen. Danke, Ihr Lieben!
      Falls ihr einen guten Link habt in Sachen Zugreise für den Rückweg: immer gern her damit 🙂

      Antworten
  3. Heidi und Bodo sagt:
    26. August 2019 um 16:30 Uhr

    Christiane und Reinhard on tour! Auf Eure Live Bilder- und Videoshow freuen wir uns schon jetzt! Klar, wir haben Verständnis dafür, dass wir uns in Bezug auf Eure Erlebnisse in Indien noch gedulden müssen! Wir warten gern darauf! Erholt Euch erstmal, bevor es mit dem Schreiben weitergeht! Immer wieder abenteuerlich, was Ihr alles auf Euch nehmt, um uns mit Infos zu versorgen! Danke, Ihr Lieben!

    Antworten
    1. Christiane Bogenstahl sagt:
      26. August 2019 um 22:59 Uhr

      Schaut, ihr freut euch auf bewegte Bilder und wir freuen uns allmählich auf den näher rückenden Sachsenring. Auf ein baldiges Wiedersehen! 🎈

      Antworten
  4. Sylvia sagt:
    24. August 2019 um 21:19 Uhr

    Sehr abenteuerlich, was Ihr da so erlebt! Bin neidisch!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      25. August 2019 um 9:37 Uhr

      Bin sicher, dass du nicht neidisch sein musst. Du hast doch auch nicht immer die ausgetretenen Pfade genommen. Und du planst doch bestimmt schon die nächste Tour! Meine Oma Mimi hätte über dich gesagt: „Die hat Hummeln im Hintern! In acht Wochen ist die wieder unterwegs!“

      Antworten
  5. Manfred Sommerfeld sagt:
    24. August 2019 um 11:47 Uhr

    Um zu kontrollieren, in wie weit der kalte Entzug von Nikotin und Coffein bei Reinhard bereits Wirkung zeigt, haben wir einen Code vereinbart, eine Art Enigma für Arme. Kommt in einem seiner Berichte das Wort Kaffee, rauchen oder Nikotin vor, ist das normal, mehrfach ist bedenklich. In diesem Bericht mit etwas über 5000 Wörtern kommt es gleich 5 x vor. Muss ich mir Gedanken machen?
    Dass Ihr mit Eurer Berichterstattung ins Hintertreffen geraten seid, tut mir leid. Ich biete mich als Ghostwriter an. Keine Angst, dies ist nur ein übler Scherz, so wie die Geschichte von Enigma. Euer Schreibstil ist nicht zu kopieren, er ist einmalig.
    Und das ein Profi auch mal Hilfe in einem Telefon-Shop braucht, sorry, spiegelt Euch als das, was Ihr seid; menschlich. Erholt Euch!!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      25. August 2019 um 9:27 Uhr

      Manchmal fast unheimleich, wie unsere Texte gelesen werden! Mein Vater hat bei meinen Krimis immer nachgezählt, wie oft die Wörter „Arsch“ und „Scheiße“ auftauchen. Meine Ausrede, ich könne ja nichts dafür, dass meine Figuren so reden, ließ er nicht gelten. Und jetzt habe ich nicht mal mehr diese Ausrede …
      Aber keine Sorge. Chrissie kontrolliert meinen Zigarettenverbrauch so penibel, als wäre sie als Finanzbeamtin ausgebildet worden. Ich werde die Tour überleben!

      Antworten

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