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(Mit) Rucksack und Rentner um die Welt

28 JAHRE TRENNEN UNS – VERRÜCKTE IDEEN EINEN UNS

Abend im Restaurant
Freudentränen in Shiraz

Freudentränen in Shiraz

27. August 2019 Christiane Bogenstahl Comments 7 comments
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Chrissie
Müde und kraftlos sitze ich und warte. Seit drei Tage hängt Mr. Montezuma an mir wie eine Klette. Ich fühle mich elend, obwohl heute der erste Tag ist, an dem ich wieder etwas essen kann. Dazu steht uns beiden ein ganz besonderes Wiedersehen bevor. Ich müsste aufgeregt sein, fühle mich aber zu schwach. Reinhard schaut auf die Uhr. „Schon nach sieben. Über eine Stunde zu spät.“
„Sie hat geschrieben, dass sie im Stau stehen.“
Eine weitere halbe Stunde vergeht. Dann springt Reinhard plötzlich auf. „Da sind sie!“
Auch ich kämpfe mich vom Sessel der Hotel-Lobby hoch und gehe zur Tür. Da kommen sie uns auch schon mit ausgestreckten Armen entgegen. Diese vertrauten Gesichter! Vier Monate haben wir sie nicht gesehen. Und plötzlich muss ich heulen wie schon lange nicht mehr. Denn ich weiß nun, dass ein Teil von mir für immer hier geblieben war. In Shiraz, bei Fahranaz und Amon. Noch vor wenigen Tagen sah die Welt ganz anders aus – und auch unsere Pläne. Das war in Indien:
„Kacke!“
„Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Ich komme mit dem Visumsantrag für Pakistan nicht weiter.“
„Ich dachte, per VPN erreichst du die Seite?“
„Ja, die Sperre konnte ich umgehen. Aber die Experten da mögen wohl keine Mobilgeräte. Hier, guck!“
Ich zeige Reinhard die Anzeige der Webseite, über die ich ein e-Visum beantragen möchte. „Device incompatibility“, steht da. Mehr nicht.
„Hast du es schon mit dem Handy pro…“
„Logo.“
„Sollen wir es dann doch über die Botschaft in Delhi probieren?“
„Vergiss es. Die Leute, die es probiert haben, mussten mehrere Wochen warten. So viel Zeit haben wir nicht.“
Mir brummt der Kopf. Alle Alternativen zu Pakistan für den Rückweg nach Hause sind keine. Entweder ist der Weg zu weit oder zu gefährlich. Indien und Pakistan sind sich spinnefeind. Von Pakistan aus kommen wir zudem nicht über Land in den Iran –  es sei denn, wir schlagen die ausdrücklichen Warnungen des Auswärtigen Amtes zum Gebiet Belutschistan in den Wind. Ich halte es wie immer. Plane nur so weit, wie du gucken kannst.
„Ich schreib mal einen Kollegen in Essen an. Vielleicht kann der mir die Zugangsdaten zu einem unserer Cloudserver schicken. Dann kann ich von da aus die Webseite aufrufen.“
Gesagt, getan. Wenige Stunden später habe ich nicht einfach nur eine nette Antwort im Postkasten, sondern gleich noch die gewünschten Zugangsdaten. Applied technologies – ihr seid die Besten! 💚
Mit neuer Motivation lade ich eine Remote Desktop App nach der anderen auf mein iPad. Sie alle scheitern daran, dass man keinen sogenannten FQDN angeben kann, also einen eindeutigen Servernamen im Netz. Die Apps wollen alle eine feste IP-Adresse. Der Cloudserver, den mein Kollege für mich freigegeben hat, hat aber keine statische IP-Adresse.
Mit der sechsten App klappt es endlich. „Connected“, sagt der Statustext.  Doch Pustekuchen. Ich sehe nur einen weißen Bildschirm. Nach mehr als zwei Stunden gebe ich auf. Ich muss einen richtigen Computer finden, von dem aus ich das Ganze probieren kann.
Doch bevor es dazu kommt, erreicht uns eine Nachricht aus der fernen Heimat.
Reinhards ältere Tochter heiratet ihren langjährigen Freund. Grund zur Freude! Aber: Die Hochzeit findet am 01.11. statt. Einen Monat vor unserer geplanten Rückkehr …
Einige weitere Tage vergehen, bis wir die Entscheidung fällen: Wir müssen fliegen, auch wenn wir uns wünschten, dass es einen besseren Weg gäbe. 😕
Der Flug nach Shiraz ist schnell gefunden. Per Atmosfair lassen wir ausrechnen, wie viel CO2 wir verbrennen. 1073 kg für uns beide. Atmosfair berechnet als CO2-Ausgleich 35 Euro. Wir runden auf 50 Euro auf. Wir buchen.
Atmosfair Berechnung
Atmosfair Berechnung

Und plötzlich sind wir aufgeregt wie vor Beginn unserer langen Reise. Zurück in den Iran. Das Land wunderbarer Freunde. Was wir dort erlebt haben, ist so schön, so einzigartig. Mein Herz klopft und ich merke, dass ich so glücklich nicht mehr war, nachdem wir den Iran verlassen haben.

Und nun stehen wir vorm Hafez Hotel in Shiraz, liegen uns in den Armen. Ich kann nicht aufhören zu heulen. Farahnaz drückt mich. „Christi, ich hab so sehr geweint, als ich gelesen habe, dass ihr wiederkommt. Jetzt habe ich keine Tränen mehr. Ich bin nur noch fröhlich.“

Reinhard
Amon klopft mir zur Begrüßung auf die Schulter und dann schauen wir auf die beiden Frauen. Er zieht lächelnd die Schultern hoch und ich breite hilflos die Arme aus. Klar, freuen wir uns. Aber das hier ist schon verdammt dramatisch. Die Mädels sind wie Luise und Lotte aus Kästners „Das doppelte Lottchen“, als sie endlich die Wiedervereinigung ihrer Familie feiern können. Und diese beiden haben sich ja tatsächlich schon als Schwestern adoptiert und sich wirklich vermisst. Aber muss man deshalb auf offener Straße weinen? Männer tun das nicht. Vor allem nicht im Iran. 😉

Chrissie

Wir gucken uns an und können es nicht fassen. Es dauert, bis ich mir die Tränen abwischen und die anderen Menschen auf dem Parkplatz wahrnehmen kann.  Einige wohlwollende Blicke treffen uns. Eine Frau, die lose ein buntes Tuch über ihren Hinterkopf geworfen hat, lächelt uns an. Iran – oftmals anders, als alle denken.

Mein Bauchgrummeln meldet sich zurück – zum ersten Mal seit Tagen spüre ich wieder so etwas wie Hunger. Gleich neben dem Hotel befindet sich das Fatholmolouki Mansion, ein sehr altes und traditionell eingerichtetes Haus mit bunten Fenstern, moscheeartigen Kuppelstrukturen und Teppichen, auf denen man sitzen kann.
Fatholmolouki Mansion
Doch bei diesen milden Abendtemperaturen wollen wir draußen essen. Wir ergattern einen schönen Tisch in Brunnennähe. Kühle Luft weht uns entgegen, zwei Männer spielen persische Musik und singen dazu.
Traditionelle Live-Musik
Live Musik mit Santoor (Zupfinstrument) und Tomback (Trommel)
Amon und Farahnaz überraschen uns, als das Essen aufgetischt wird.
„Guten Appetit“, wünschen sie uns in Deutsch.
„Wow! Das war gut! Wann habt ihr das denn gelernt?“
Farahnaz berichtet, dass sie und Amon immer Angst vor der deutschen Sprache hatten. „Alle haben uns gesagt, dass sie sehr schwer zu lernen ist. Aber ihr habt uns motiviert. Wir lieben die deutsche Sprache.“
Wir sind extrem beeindruckt. Seit April sind nur vier Monate vergangen. Ihr Deutsch ist nun auf Level A1.1.  Sie kennen jede Menge Vokabeln und Basisgrammatik.
Deutschbuch
Mit diesem Buch lernen die Beiden Deutsch
Aber mehr noch als Respekt für diese Leistung fühle ich eine unglaubliche Rührung für die Beiden. Wie konnte sich in so kurzer Zeit eine solche Freundschaft entwickeln?
Vor einem Monat erst hatte Farahnaz mir ein Bild geschickt. Es war die Kopie einer Seite des Gästebuchs, in dem wir uns im April verewigt hatten. Im ersten Moment hatte ich gar nicht verstanden, was ich dort sah, bis der Groschen fiel. Kurz vor der Abreise hatte ich mir den Pony geschnitten und die Haare in den Müll geworfen. Farahnaz hat eine Strähne wieder herausgefischt und als Erinnerung in das Buch gelegt. Sie dachte, wie sähen uns nie wieder.
Was für eine ungewöhnliche Frau, denke ich wie so oft. Manchmal mit traurigen Augen, aber immer ein volles Herz.
Fahranaz
Fahranaz: Frau mit Herz
Amon
Großartiger Entertainer: Amon

Und Amon?

Wir lachen uns schlapp über ihn an diesem Abend. Denn auf Youtube hat er ein Video entdeckt. „Wie Deutsch im Vergleich zu anderen Sprachen klingt.“ Wer es noch nicht kennt, kann sich das hier ansehen:
https://m.youtube.com/watch?v=NcxvQI88JRY
Bei allen möglichen Gelegenheiten gibt Amon seinen neuen Wortschatz zum Besten. Schon nach kurzer Zeit fließen bei uns Tränen und der Bauch schmerzt nur noch vor Lachen.

Eigentlich wollten wir nach der langen Anreise nur ein bis zwei Stunden mit den beiden verbringen, aber die Zeit verfliegt. Bis kurz vor Mitternacht reden und scherzen wir, bringen uns auf den aktuellen Stand.
Für besondere Aufregung sorgt bei Farahnaz die Nachricht, dass Reinhards ältere Tochter heiratet. Sie will alles wissen. Wie wird in Deutschland geheiratet? Was tragen die Männer und Frauen? Kommen viele Gäste? Schließlich beschließt sie: „Du musst ein paar Kleider anprobieren, Christi. Wir machen ein Make up für dich und Fotos.“
Noch weiß ich nicht, dass sie mich in eine persische Prinzessin verwandeln möchte. Aber ich werde es bald am eigenen Leib erfahren. 😉

Am Ende müssen wir aber noch einen Streit ausfechten. Es geht ums Bezahlen. Gastfreundschaft ist ein sehr unzulängliches Wort ist für das, was hier im Iran gelebt wird. Amon und ich kämpfen fast, um die Rechnung zu begleichen. Er schiebt seine Karte zur Kassiererin, ich drücke ihr wahllos ein Bündel Geldnoten in die Hand, weil ich nicht weiß, was es kostet, und Amon sich weigert, den Preis zu übersetzen. Geld und Karte werden mehrmals hin- und herbewegt. Die Kassiererin ist mehr als nur irritiert. Am Ende schaffe ich es irgendwie, mich mit Bogenstahl-Sturheit durchzusetzen.  Ein Punkt für mich. Einige der folgenden Runden werde ich jedoch haushoch verlieren.

Reinhard

Am nächsten Tag schlafen wir aus. Die Reise von Delhi nach Shiraz war schon heftig. Das war nicht nur ein Flug, sondern es waren drei. Von Delhi nach Ahmedebad, von dort Dubai und dann endlich in den Iran. Keiner der Flüge dauerte viel länger als zwei Stunden. Aber die Wartezeiten! Drei Stunden in Dubai – und acht in Ahmedebad. Und da sind wir echt in eine Falle gelaufen. Als wir gegen 18 Uhr von Terminal 1 zum Terminal 2 wechseln, müssen wir am Eingang schwer bewaffneten Sicherheitsleuten Pass und Flugschein zeigen. In der Halle stellen wir fest, dass es außer uns noch keine anderen Passagiere gibt. Die Anzeigentafel verrät, warum: Hier werden offenbar nur Nachtflüge gestartet. Keiner der Check-in-Schalter ist besetzt, es gibt nichts zu essen und zu trinken – dazu muss ich wieder raus. Aber eine Soldatin und ein Soldat mit Kalaschnikows versperren mir den Weg: „Das ist verboten!“

Ich erkläre, warum ich das Terminal verlassen will.

„Ihr Problem. Sie sind zu früh gekommen!“
Ich verweise auf den Flugplan und darauf, dass meine Partnerin gesundheitlich angeschlagen ist. Schließlich darf ich die rund zehn Meter breite Straße überqueren und kaufe Wasser und Kekse – argwöhnisch von den beiden beäugt.
Eine Stunde später sind auch ein paar andere Passagiere und ein ganzer Zug Soldaten da. Ich finde, es ist Zeit für eine Zigarette. Ein Mann mit zwei Silbersternen auf der Schulter führt die Truppe an und stoppt mich. Sein Englisch ist gut und klar verständlich. „Sie können oben rauchen. Dazu müssen Sie durch die Immigrationskontrolle.“
„Ich will nicht einwandern, sondern ausreisen.“
„Egal, Sie müssen da durch.“
„Aber wir können erst in fünf Stunden einchecken. Ich muss raus.“
„Das ist verboten!“
„Warum?“
Ich sehe, es arbeitet hinter der Stirn. Also weitermachen! „Sagen Sie, wenn ich die zehn Meter über die Straße gehe und dort rauche – ist das eine militärische Gefahr für Indien?“
Ein zweiter Offizier nähert sich und hört lächelnd zu.
„Sie haben mich die ganze Zeit im Blick und können kontrollieren, ob ich rauche oder eine Bombe baue.“
Stirnrunzeln. In den USA würden sie mich wegen dieser Frage wohl sofort aus dem Verkehr ziehen.
„Was ändert sich in der Welt, wenn ich dort rauche? Versinkt Indien im Meer?“
Amüsiertes Lächeln.
„Oder verliert Indien den nächsten Krieg gegen Pakistan?“
Erschrecken in den Augen – so etwas darf man wohl nicht mal denken.
„Ich bin ein alter Mann ohne Waffen. Welche Gefahr geht von mir aus?“
Grinsen, Kopfbewegung, ich bin draußen. Finde, dass ich mir die Fluppe ordentlich verdient habe.
Zwei Stunden später hat sich das Terminal deutlich belebt. Jede Menge Passagiere. Vor uns parken zwei Jungs ihre Koffer – so viele, als hätten sie unsere Wohnung ausgeräumt. „Wollt ihr auswandern?“
Sie lachen. „Studium in den USA. Ein Jahr …“
Ich finde, es ist Zeit für die nächste Zigarette. Als der Zwei-Sterne-Mann mich sieht, rollt er mit den Augen, lässt mich gehen, aber gibt mir einen Mann mit einem Silberstern als Aufpasser mit. Der Typ hält zwar Abstand, um keinen Qualm abzubekommen, ist aber ständig auf dem Sprung und bringt mich am Ende wieder in die kontrollierte Zone …
Kürzen wir es ab: Ein paar Stunden später können wir endlich durch die Immigrationskontrolle. Zuerst verwirren wir zwei Beamte, als wir den „Iran-Pass“ ohne Indien-Visum vorzeigen – das Visum befindet sich in dem ersten Pass. Nach einem längeren Telefonat und dem persönlichen Erscheinen des Vorgesetzten lassen sie uns ziehen. Dafür veranstalten die Provinzbullen an der Körper- und Gepäckkontrolle eine elend lange und gründliche Durchsuchungsorgie – endlich sind sie hier am Arsch der Welt mal wichtig. Und natürlich kassieren sie mein letztes Feuerzeug ein. Wie soll ich meine nächste Fluppe anzünden?
Auch das hat der indische Amtsschimmel mitbedacht. Der
Raucherraum befindet sich ganz am Ende der Wartezonen. Ein Raum, so kahl wie ein Obduktionssaal. Zwei einsame Raucher. Feuer? Die Jungs deuten auf eine fast leere Wand. Ein Lichtschalter. Und daneben ein Loch, aus dem ein Draht herausragt. Als ich den Schalter drücke, beginnt der Draht zu glühen. Und endlich kann ich mir eine anstecken.
So einen Quatsch können sich eigentlich nur Grüne ausdenken. Aber wer weiß – in Deutschland würden sie einen Feuerstein und etwas Zunder hinlegen und sich hinter der Überwachungskamera einen Ast lachen.
Ankunft
Endlich angekommen
Chrissie
Nach acht Schlaf sieht Reinhard an diesem Morgen fünf Jahre jünger aus und ich stelle mit Freuden fest, dass ich wieder ein Hungergefühl verspüre. Es geht aufwärts. Um 12:00 Uhr holt uns ein Snapp! ab; das ist die iranische Variante von MyTaxi oder Uber. Leider stelle ich schon im Taxi fest, dass meine erst gestern am Flughafen von Shiraz erworbene Simkarte nicht funktioniert. Mehr als 0,2 KB pro Sekunde sind nicht drin. Das reicht nicht mal für eine WhatsApp-Nachricht.
„Bitte überprüfen Sie Ihre Internetverbindung“, empfiehlt mir mein Handy. Na, danke schön. Darauf wäre ich auch von allein gekommen. Dasselbe Problem hatte ich schon beim letzten Mal in Teheran. Da hatte erst eine komplett neue Simkarte Abhilfe geschaffen.
Der Empfang in der schönen Wohnung ist so herzlich wie erwartet. Amon ist noch in seiner Tätigkeit als Ingenieur unterwegs, Farahnaz verwöhnt uns erst mit Tee und Obst und später – als Amon ankommt – mit einem köstlichen Reisgericht.
Tee trinken
Dann macht sie ihre Ankündigung wahr. „Komm mit, Christi.“
Im Gästezimmer, in dem Reinhard und ich schlafen, befindet sich ihr Kleiderschrank. Ich helfe ihr, einen riesigen Karton vom obersten Fach zu hieven. Darin befinden sich ihr Brautkleid und mehrere Abendkleider. Die Roben sind prachtvoll mit Perlen und Steinen bestickt oder mit Gold und Silber umsäumt. Meine Augen werden groß. Das soll ich anziehen? Diese Kleider stammen aus 1001 Nacht. Ich fühle mich daneben wie Aschenputtel – also mehr Asche als Puttel. „Die sind wunderschön“, sage ich.  „Aber das ist nicht mein Stil. Ich trage lieber etwas Schlichteres.“
Fahranaz ist jedoch nicht zu bremsen. „Bitte, Christi. Du bist wunderschön. Du musst das hier anprobieren.“
Sie reicht mir ihr Brautkleid. Ein Traum in Spitze und Tüll. Geschätze Kleidergröße 34.
„Das passt mir nicht.“
Sie sagt „Doch.“
Ich sage „Nein.“
Nach einigem Hin und Her probiere ich das Teil an. „Okay“, sagt sie. „Das ist ein bisschen zu klein.“
Die Untertreibung des Jahrhunderts. Knopf und Knopfloch auf der Rückseite können sich nicht mal schreiend unterhalten. Der Reißverschluss bildet ein breites V. Ich muss lachen. Weiß – stelle ich fest – ist ohnehin nicht meine Farbe.
„Try this“, sagt sie, nachdem sie mich befreit hat, und reicht mir eine türkisblaue Prinzessinnengewandung. „I was really fat when I bought this.“
Hört sich fast so an wie eine Beleidigung. Aber ich muss wieder lachen. Manchmal fehlt eben eine Vokabel. Englisch haben sie und Amon auch erst vor zwei Jahren gelernt. Auffordernd hält sie mir das Kleid vors Gesicht. „Beautiful.“
Und Ich erkenne: Widerstand ist zwecklos.
Persische Prinzessin 1
Fahranaz ist begeistert von ihrem Werk. „Reinhard! Come. Look.“
Persische Prinzessin ohne Make up
Reinhard kommt mit Amon im Schlepptau. Mein Kerl nickt anerkennend. „Du siehst zauberhaft aus“, sagt er. In seinen Augen blitzt es. „Willst du so eins auf Kathas …“
„Nein“, unterbreche ich den Satz.  „Aber vielleicht ist die Idee gar nicht so doof, sich hier im Ruhe was für die Feier auszusuchen.“
Fahranaz schaut auf die Uhr. „Oh, schon so spät. Wir müssen los.“
Stimmt. Ich hatte sie schon Tage vor unserer Ankunft gebeten, einen Termin beim Friseur zu machen. Schneiden und Augenbrauenzupfen. Ich bin schon sehr gespannt, wie es in einem iranischen Schönheitssalon zugeht. Ihr auch?
Spoiler: Nicht anders als bei uns. Die Damen und Mädels sind lässig gekleidet in Leggings und ärmellosen Tops. Im hinteren Salonbereich wird manikürt, im vorderen gefärbt, geschnitten und frisiert.
Beauty-SalonDer einzige Unterschied hier besteht darin, dass im Gegensatz zu Deutschland wirklich ALLE graues Haar toll finden. Kundinnen fragen, ob ich es habe färben lassen. Wildfremde Frauen sagen mir, dass sie meine Augen und Haare wunderschön finden. Als wir zwei Stunden später wieder auf dem Heimweg sind, schwebe ich und lasse meine perfekt in Form gebrachten Augenbrauen wippen.
Haareschneiden
Reinhard und Amon hatten ebenfalls eine gute Zeit, wie es scheint. Beide grinsen, als hätten sie was ausgeheckt. Dabei haben sie einfach nur das gemacht, was ihrer beider liebstes Hobby ist: Schlafen. Entsprechend gut erholt trinken wir noch einen Tee und machen uns auf zum nächsten Abenteuer. Abendkleidkauf in Shiraz Downtown.
Amon fährt uns in dem Pickup von Fahranaz’ Vater zu einer belebten Straße. Links und rechts gibt es Unmengen von Bekleidungsgeschäften. Jedes zweite Ladenlokal scheint auf Brautmoden spezialisiert zu sein. Uff!
Alles glänzt und blinkt so krass, dass ich kaum das Kleid unter all dem Pomp sehen kann. „Vielleicht gibt es hier etwas ohne Steine und Strass?“, frage ich vorsichtig nach. Gibt es. Nur drei Stunden und drei Anproben später halte ich das Gesuchte in den Händen und bin happy. Die Schneiderin sitzt direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, nimmt Maß und verspricht, die gewünschten Anpassungen bis zum nächsten Tag auszuführen. 5 Euro soll das Ganze kosten. Spottpreis.
Zum Abschluss des Abends gibt es Falafel in einem Schnellimbiss und eine Rückfahrt, bei der wieder viel gelacht werden darf. Denn Amon findet immer neue Möglichkeiten, seine Deutschkenntnisse anzuwenden. Das, ihr Lieben, ist ein eigenes Video wert. Aber auch hier, bedarf es der Geduld …. bis zu unserer Wiederkehr.
Beim nächsten Mal erfahrt ihr, wie wir von Fahranaz‘ und Amons Familie adoptiert werden, wie ein normaler iranischer Ausflug mit persischem Picknick aussieht und wie man nachts um 03:00 Uhr über eine Stunde lang heftig aus der Nase bluten kann, ohne das Bewusstsein zu verlieren. 😉 Aber  habt etwas Geduld – wir haben zu tun. Um den Grundstein für eine virtuelle Freundschaftsbrücke zwischen Iranern und Deutschen zu legen.

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7 thoughts on “Freudentränen in Shiraz”

  1. Manfred Sommerfeld sagt:
    30. August 2019 um 12:49 Uhr

    Die Samurai der nachindustriellen Zeit dieser Welt, dienen nicht mehr Kraft ihres Ansehens, ihrer Autorität oder gar mit dem Schwert, sie beherrschen die Tastatur. Ehrhaftigkeit oder gestählte Muskeln sind nicht mehr erforderlich. Ehre wird nicht im kreuzen zwischen Metall und Klinge ermittelt, sondern per Tastendruck auf jeder Distanz. Ich habe vor der Klinge weniger Angst, als vor der Folge und Reichweite eines Tastendrucks. In Eurem Fall entschied ein Tastendruck in Essen über Freizügigkeit oder Stillstand, Gott sei Dank für Euch positiv.

    Als Modeberater tauge ich nicht, aber wenn man etwas außergewöhnliches haben möchte, dann ist das schöne Kleid unschlagbar. Ihr habt auf Eurer Reise so viel Mut bewiesen, da könnt Ihr Euren Dress-Code für die Feier wohl auch noch selbst bestimmen.
    Für den Reinhard hätte ich noch einen weißen Anzug aus den 70ern, mit ganz viel Schlag (nur 1x getragen). Wie gesagt, Mut habt Ihr ja genug.

    Beim Lesen kann man förmlich spüren, wie befreit Ihr im Iran seit. Das soll keine Wortspielerei sein, sondern mein Empfinden. Außerdem sagen die Fotos mehr als tausend Worte es vermögen.
    Möge die Freundschaft zu Shiraz und Amon Bestand haben.
    Gruß aus Bochum

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      1. September 2019 um 7:54 Uhr

      Ja, Indien war eine schlimme Erfahrung. Angesichts des unbeschreiblichen Elends, das man überall sieht, können wir die Indien-Euphorie vieler anderer Reisender nicht nachvollziehen. Am schlimmsten war das Gefühl, vor Ort nicht wirklich helfen zu können. – Tastendruck oder Schwert? Man sollte Regierungschefs, Kriegsminister/innen und die Bosse der Rüstungsindustrie zum Duell in die Arenen jagen. (Erich Kästner hatte eine ähnliche Idee schon vor vielen Jahren, u. a. in dem leider kaum bekannten Theaterstück „Die Acharner“.) Solche Einschaltquoten könnte keine Olympiade erzielen. 😉 – Danke übrigens für das Angebot, mir deinen weißen Anzug mit Schlaghose zu leihen! Schlank, wie ich inzwischen bin (ca. 12 kg weniger), wäre ich der Modestar des Abends. 🙈

      Antworten
  2. Andreas sagt:
    29. August 2019 um 9:28 Uhr

    Was für ein wunderschöner Bericht von diesen Erfahrungen/Emotionen und Eindrücken!!! Ich habe die Zeilen förmlich verschlungen 🙂

    Antworten
  3. Heidi und Bodo sagt:
    28. August 2019 um 8:41 Uhr

    Salaam!
    Christiane in einem Traumgewand als persische Prinzessin! Wir sind begeistert, auch von Eurer guten Laune und Fröhlichkeit. Die ist ansteckend! 😉
    Habt einen schönen Tag zusammen!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      29. August 2019 um 15:04 Uhr

      Ihr werdet Chrissie in diesem Stöffchen nicht wiedererkennen. Im Übrigen ist das Paket schon unterwegs. Leider deutlich teurer als in Thailand – aber man gönnt sich ja aonst nix. 😉

      Antworten
  4. Heidi und Bodo sagt:
    27. August 2019 um 13:49 Uhr

    Ihr Lieben, das ist wieder einmal ein sehr bewegender Bericht über das Wiedersehen mit Euren Freunden in Shiraz!
    Wir könnten unendlich viel darüber schreiben, was uns so beeindruckt, die herzliche Ausstrahlung, Freude und vieles mehr, was die Fotos aussagen! Dafür benötigt man keine Worte!
    Ehrlich gesagt, beim Lesen sind auch bei uns einige Freudentränen gekullert!
    Wir sind natürlich sehr auf Dein in Shiraz erworbenes Kleidungsstück gespannt, liebe Christiane, und hoffen, dass es Dir mittlerweile wieder gut geht! Solltet Ihr für den Transport vorab den Postweg benutzen wollen, Ihr habt ja unsere Adresse!
    Für heute viele liebe Grüße aus der Heimat!

    Antworten
    1. Reinhard Junge sagt:
      27. August 2019 um 23:48 Uhr

      Dank für euer Lob – und das Angebot. Natürlich werden wir das Kleid nicht in den Rucksack stopfen. DHL gibt es auch im Iran. Und ihr habt das Vergnügen, es als Erste sehen zu können!

      Antworten

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